Wenn Donald Trump den ukrainischen Präsidenten trifft, sieht er nicht das Staatsoberhaupt eines Landes, das von Russland überfallen wurde. Er denkt an sein erstes Impeachment-Verfahren und an die "manipulierte" Wahl von 2020. Putin dagegen assoziiert er mit seinem Wahlsieg von 2016.
Es gibt ein paar Themen, auf die US-Präsident Donald Trump geradezu fixiert ist. Eines davon sind seine realen und vermeintlichen Wahlsiege. Unabhängig davon, ob der Anlass passend ist: Trump spricht immer wieder davon. Ein anderes Thema ist Russland. Beide Themen sind für ihn auf das Engste verbunden.
Auch beim fast 50-minütigen Auftritt mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office war es so. Normalerweise dauern solche Auftritte wenige Minuten, dann wird die Presse hinausgeschickt und das Gespräch beginnt. Dieses Mal lief es anders.
Etwa eine Viertelstunde nach Beginn der improvisierten Pressekonferenz stellte ein Journalist die liebedienerische Frage, ob Trump als Friedensstifter in die Geschichte eingehen wolle. Trump lobte die Frage und sagte, hätte er die Wahl nicht gewonnen, dann hätte aus dem Krieg in der Ukraine ein dritter Weltkrieg werden können.
"Und, übrigens: Wir haben mit deutlichem Vorsprung gewonnen", fügte er hinzu. Er habe die Wahl mit einem Vorsprung von "Millionen und Millionen" Stimmen gewonnen. "Wir haben alles gewonnen, die Bezirke. Schauen Sie sich die roten Bereiche an, sehen Sie sich eine Karte an, das war ein großes Mandat." Rot ist die Farbe der Republikaner. Trump hat bei der Wahl knapp 2,3 Millionen Stimmen mehr bekommen als die Demokratin Kamala Harris.
"Russland, Russland, Russland"
Zu diesem Zeitpunkt war die Atmosphäre noch vergleichsweise ruhig. Spannung kam allerdings schon jetzt hinein, weil Selenskyj mehrfach darauf hinwies, dass die Ukraine bei einem Waffenstillstand Sicherheitsgarantien brauche. Auch von den Journalisten kam die Frage immer wieder: Warum sollte Russland einen Waffenstillstand einhalten? Schließlich hat der russische Präsident Wladimir Putin schon häufig gezeigt, was er von Abkommen hält.
"Ich will nicht über Sicherheit reden, denn ich will den Deal hinkriegen", sagte Trump dazu lediglich. "Ich kümmere mich nicht um Sicherheit. Ich kümmere mich darum, den Deal hinzukriegen." Aus Trumps Sicht braucht die Ukraine ohnehin keine Sicherheitsgarantien: "Ich glaube nicht, dass man viel Sicherheit brauchen wird. Ich denke, wenn dieser Deal abgeschlossen ist, ist es vorbei. Russland wird nicht zurückkommen wollen."
Dreizehn Minuten später, nach einer weiteren Frage nach Sicherheitsgarantien, sagte Trump, er kenne den russischen Präsidenten seit Jahren. "Er musste unter dem Russland-Schwindel leiden. Sie wissen, 'Russland, Russland, Russland' war ein Schwindel, das war alles Biden. Es hatte nichts mit ihm [Putin] zu tun. Also, er musste das ertragen und er hat das auch geschafft."
Die Wahl von 2016
Auch wenn Trump hier seinen Vorgänger Joe Biden erwähnt: Wenn er "Russland, Russland, Russland" sagt, dann meint er die Präsidentschaftswahl von 2016 - jene Wahl, die er gegen die Demokratin Hillary Clinton gewann. Bereits im damaligen Wahlkampf hatten Vertreter des Trump-Wahlkampfteams Kontakte zu Russen, von denen sie sich Hilfe versprachen - unter anderem am 9. Juni 2016 im Trump Tower, wo Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und andere sich mit einer russischen Anwältin trafen. Von ihr erhofften sie sich Informationen über Clinton, die ihnen im Wahlkampf helfen würden.
Nach der Wahl kamen die US-Geheimdienste zu dem Schluss, dass Russland versucht habe, Einfluss auf die Wahl zu nehmen, etwa durch den Einsatz von Trollfarmen, aber auch durch geleakte E-Mails aus Clintons Umfeld, die kurz vor der Wahl bekannt wurden. Der ehemalige FBI-Direktor Robert Mueller schrieb 2019 in einem Bericht, Russlands Einflussnahme auf die Wahl sei "umfassend und systematisch" gewesen.
Die Wahl von 2020
Aber Trump sprach im Oval Office nicht nur von den Wahlen von 2016 und 2024, sondern auch von 2020. Anlass war die Frage einer Journalistin gegen Ende der Veranstaltung, als Trump und sein Vize J.D. Vance sich schon Wortgefechte mit Selenskyj geliefert hatten. Die Reporterin kam erneut auf das Thema der Sicherheitsgarantien zu sprechen: Was passiere, wenn Russland den geplanten Waffenstillstand breche?
Trump wurde nun noch wütender, als er zu diesem Zeitpunkt bereits war: "Was wenn sie… Was wäre wenn?! Was, wenn Ihnen jetzt gleich eine Bombe auf den Kopf fällt?"
Frühere Waffenstillstände seien von den Russen gebrochen worden, weil sie Joe Biden und Barack Obama nicht respektiert hätten, sagte Trump. "Sie haben ihn [den Waffenstillstand] mit Biden gebrochen, weil Biden - sie hatten keinen Respekt vor ihm. Sie hatten keinen Respekt vor Obama. Sie respektieren mich. Lassen Sie mich Ihnen sagen, Putin hat verdammt viel mit mir durchgemacht. Er hat eine verlogene Hexenjagd durchgemacht, bei der sie ihn benutzt haben, und 'Russland, Russland, Russland, Russland'."
Der "Laptop aus der Hölle"
Jetzt war Trump in Fahrt. "Das war ein verlogener Hunter-Biden-Joe-Biden-Betrug", sagte er. "Es war ein Demokraten-Betrug, und er musste das durchmachen, und er hat es durchgemacht, und wir sind nicht in einen Krieg geraten, und er hat es durchgemacht. Ihm wurde all dieses Zeug vorgeworfen. Er hatte nichts damit zu tun." Auch den "Laptop aus der Hölle" und "die 51 Agenten" brachte Trump in seinem Stakkato der Empörung unter.
Der "Laptop aus der Hölle", wie Trump ihn nennt, ist zentraler Bestandteil einer Verschwörungstheorie, die Trump seit Jahren verbreitet. Zentraler Aufhänger sind Geschäfte, die Joe Bidens Sohn Hunter Biden mit ukrainischen Oligarchen gemacht hat. Trump behauptet, Joe Biden habe als Vizepräsident dafür gesorgt, dass ein ukrainischer Generalstaatsanwalt gefeuert wurde, der wegen dieser Geschäfte gegen Hunter Biden ermittelte.
Der "Laptop aus der Hölle" sollte Trump helfen, die Präsidentschaftswahl gegen Biden zu gewinnen. Bis heute behauptet Trump, er sei damals der wahre Wahlsieger gewesen, die Wahl sei "manipuliert" worden. Trump nutzte diese Geschichte im Wahlkampf 2020, um nachzuweisen, dass Biden sogar noch korrupter sei als Clinton. Im Oktober 2020, also wiederum kurz vor der Wahl, kam ihm dabei das Revolverblatt "New York Post" zu Hilfe. Dieses meldete, ein Laptop von Hunter Biden sei aufgetaucht, auf dem sich Mails fänden, die die Vorwürfe belegten.
Der Laptop war tatsächlich echt, auch wenn er unter ziemlich dubiosen Umständen aufgetaucht war. Nach dem Artikel der "New York Post" schrieben ehemalige hochrangige Geheimdienstmitarbeiter in einem offenen Brief, der Vorfall habe "alle klassischen Merkmale einer russischen Informationsoperation" - dies sind die von Trump erwähnten "51 Agenten". Erhärtet wurden die Vorwürfe nie: Es gibt keine Anhaltspunkte, dass Joe Biden etwas Anrüchiges gemacht hat. Sein Sohn wurde zwar wegen Steuerhinterziehung verurteilt, nicht aber wegen Korruption in der Ukraine. Am letzten Tag seiner Amtszeit begnadigte Biden seine gesamte Familie dann präventiv. Er fürchte "unbegründete und politisch motivierte Ermittlungen", teilte er mit.
Und dann ist da noch das Amtsenthebungsverfahren
Aus alldem folgt: Für Trump ist Putin ein Leidensgenosse, einer, der wie er unfair verfolgt wurde. Selenskyj dagegen ist in Trumps Augen nicht der Staatschef eines Landes, das von Russland überfallen wurde. Wenn Trump Selenskyj sieht, dann denkt er an 2020 und die "manipulierte" Präsidentschaftswahl.
Selenskyj ist zudem ganz unmittelbar, wenn auch ohne eigenes Zutun, in die Geschichte verstrickt. Im Juli 2019 - Selenskyj war zu diesem Zeitpunkt erst ein paar Monate im Amt - hielt Trump ein knapp 400 Millionen Dollar schweres Paket mit militärischer Hilfe für die Ukraine zurück. Kurz darauf bat er Selenskyj in einem Telefonat, Untersuchungen gegen Joe und Hunter Biden zu starten. "I would like you to do us a favor though", mit diesen berüchtigt gewordenen Worten leitete Trump das Thema ein: "Ich möchte aber, dass Sie uns einen Gefallen tun". Das Wörtchen "aber" macht deutlich, dass Trump eine Gegenleistung für die Lieferung von Javelin-Panzerabwehrwaffen erwartete. Er wollte Beweise für seine Verschwörungstheorie haben, die Selenskyj ihm allerdings nicht lieferte.
Der Aufschrei war groß, als das Telefonat bekannt wurde: Es sah so aus, als habe der Präsident sein Amt missbraucht. Wenige Monate später starteten die Demokraten das erste Amtsenthebungsverfahren gegen Trump, das die Republikaner im Februar 2020 mit ihrer Mehrheit im Senat niederschlugen. Trump dürfte das nicht vergessen haben. Für ihn ist Selenskyj ein Ausgangspunkt von ungerechtfertigten Attacken.
Auch die Javelins fanden einen Platz in seinem Wutanfall. Obama habe der Ukraine nur Decken gegeben, "und ich gab euch Javelins". Drei Mal sagte Trump das. Auch dieser Vorwurf gegen Obama ist alt und unzutreffend. Bereits unter Obama gab es Militärhilfe an das 2014 von Russland attackierte Land, darunter gepanzerte Fahrzeuge. Waffen gab es damals allerdings noch nicht.
Unmittelbar nach seinem Wutanfall brach Trump die Fragerunde ab, die Journalisten wurden rausgeschickt. Die Unterzeichnung des geplanten Rohstoff-Abkommens fand nicht mehr statt, das ursprünglich geplante gemeinsame Mittagessen wurde von Trump und seinen Leuten allein verspeist; ein klärendes Gespräch mit Selenskyj lehnte Trump ab. US-Medien zufolge wurde der ukrainische Präsident faktisch aus dem Weißen Haus geworfen.