POLITIK
NATO-Manöver im Schwarzen Meer"Sea Breeze" kommt Putin durchaus gelegen
32 Länder beteiligen sich am Manöver "Sea Breeze" im Schwarzen Meer. Die Verteidigungsübung findet seit 1997 statt, nie war sie größer als in diesem Jahr. Mitveranstalter Ukraine dürfte darin eine Stärkung der eigenen Sicherheit sehen, Russland dagegen übt scharfe Kritik - mit innenpolitischen Hintergedanken.
Seit mehr als 20 Jahren findet das Manöver "Sea Breeze" (Meeresbrise) regelmäßig statt. Doch in diesem Jahr erregt es besondere Aufmerksamkeit. Einerseits, weil die Militärübung im Schwarzen Meer nie größer war: 32 Staaten mit 5000 Soldaten nehmen teil, 32 Schiffe und 40 Flugzeuge sind im Einsatz. Andererseits, weil die Beziehungen zwischen Russland und westlichen Ländern wie den USA, der EU und weiteren NATO-Mitgliedern zuletzt sehr angespannt waren.
"Sea Breeze" gibt es seit 1997. Es ist eine Übung der NATO, die sie im Rahmen der "Partnerschaft für den Frieden" durchführt. Daher sind auch europäische Staaten beteiligt, die nicht dem Militärbündnis angehören, in diesem Jahr aber etwa auch Brasilien, Japan und Südkorea. Im Mittelpunkt stehen zwar Übungen der Marine, doch es soll auch amphibische Einsätze sowie solche zur Luftverteidigung geben. Zu den involvierten Militärverbänden zählen die Standing NATO Maritime Group 2, ein Einsatzverband des Bündnisses, und die in Neapel stationierte 6. Flotte der US-Navy.
Moskau ist alles andere als begeistert von dem Manöver, das von den USA und der Ukraine veranstaltet wird. Von einer Provokation war in Moskau die Rede und Washington wurde aufgefordert, auf die Übung zu verzichten. "Das Ausmaß und die offensichtlich aggressive Art der militärischen Übungen entsprechen in keiner Weise den tatsächlichen Sicherheitsbedürfnissen in der Schwarzmeerregion", sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums.
Als wäre das Manöver, das erneut ohne deutsche Beteiligung stattfindet, damit nicht schon brisant genug, kam es kurz nach der russischen Kritik zu einem Zwischenfall im Schwarzen Meer zwischen russischem Militär und dem britischen Zerstörer "HMS Defender". Dieser war nach russischen Angaben nahe der Halbinsel Krim in die Gewässer des Landes gefahren und erst nach Warnschüssen und Bombenabwürfen wieder abgedreht. London stellte den Vorfall etwas anders da: Die Geschosse hätten nicht der "Defender" gegolten, hieß es aus London. Zudem habe der Zerstörer lediglich ukrainische Gewässer durchfahren. Völkerrechtlich lag Großbritannien damit richtig: Die russische Annexion der Krim 2014 wird international als illegal angesehen.
EU will "härter" reagieren
Die Realität sieht freilich anders aus: Moskau betrachtet die Halbinsel seit einem eilig durchgeführten Referendum und dem Beitritt zur Russischen Föderation als Teil des eigenen Staatsgebietes. Daran hat eine (nicht bindende) Resolution der UN-Generalversammlung so wenig geändert wie die Sanktionen von EU und USA. Vielmehr zeigt Russland in der Region Präsenz - und setzt seine Ansprüche auch mit Gewalt durch, wie 2018 eine Konfrontation in der Meerenge von Kertsch zeigte, bei der auch ukrainische Matrosen festgenommen wurden. Zum wiederholten Mal verletzte Russland damit Verträge mit der Ukraine.
Dass die Beziehungen Russlands zum Westen derzeit äußerst angespannt sind, hängt aber nicht nur mit der andauernden Krimkrise und dem ungelösten Konflikt in der Ostukraine zusammen, sondern auch mit der sich stetig verschlechternden Menschenrechtslage unter Präsident Wladimir Putin. Zuletzt führte der Giftanschlag auf und die Verurteilung des Oppositionellen Alexej Nawalny zu neuen Sanktionen gegen russische Verantwortliche. Zwar gab auf dem amerikanisch-russischen Gipfel in Genf eine vorsichtige Annäherung. Doch mehr als ein erstes Gespräch von US-Präsident Biden mit Putin brachte das Treffen nicht. Vielmehr war es ein symbolischer Sieg für Putin, der sich auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten zeigen konnte.
Doch nicht nur die USA haben eine schärfere Gangart gegenüber Moskau eingeschlagen, auch die EU will künftig härter auf "böswillige" russische Handlungen reagieren. Das beschlossen die Länder auf einem Gipfel Ende vergangener Woche. Geplant ist ein Katalog mit Strafmaßnahmen, der auch Wirtschaftssanktionen beinhalten soll. Es bedürfe "einer entschlossenen und koordinierten Reaktion der EU und ihrer Mitgliedstaaten auf jede weitere böswillige, rechtswidrige und disruptive Aktivität Russlands", heißt es im Gipfelbeschluss. Gleichzeitig scheiterte Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Vorschlag, Russland auch Gesprächsangebote zu unterbreiten.
Östliche EU-Staaten setzen sich durch
Durchgesetzt haben sich damit die osteuropäischen EU-Länder, die seit Jahren vor einer steigenden Bedrohung durch Russland warnen. "Russland hat sein Militär nicht nur umfassend modernisiert, sondern hält es auch durch groß angelegte Manöver permanent in Bereitschaft", sagte kürzlich der ehemalige polnische Verteidigungs- und Außenminister Radosław Sikorski dem "Spiegel". Was das russische Militär übt, bezeichnete er als "beängstigend" und nannte etwa einen Einmarsch in die baltischen Staaten und Polen. https://www.spiegel.de/ausland/bedrohung-durch-russland-was-das-militaer-uebt-ist-beaengstigend-interview-mit-radoslaw-sikorski-a-e0dfbfb5-45d8-48f3-b049-6994490089f7
Das Manöver "Sea Breeze" kommt dem Sicherheitsbedürfnis der Ukraine und östlicher EU-Staaten also entgegen. Befriedigen wird es dieses aber nicht, trotz der Bestätigung der Rückendeckung durch die USA. Die 32 Teilnehmerstaaten an "Sea Breeze" mögen ein Rekord sein, doch 5000 Soldaten sind keine große Zahl für Manöver. Zum Vergleich: An der eben zu Ende gegangenen NATO-Übung "Defender Europe 21" nahmen 28.000 Soldaten teil. Am alle vier Jahre stattfindenden Manöver "Sapad" (Westen) waren 2017 nach russischen Angaben 12.700 Soldaten beteiligt. Westliche Beobachter schätzten die tatsächliche Teilnehmerzahl dagegen auf bis zu 100.000. Und als Russland im Frühjahr Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren ließ, sprachen EU-Vertreter von mehr als 100.000 Soldaten.
Dass Russland dennoch so vehement gegen die "offensichtlich aggressive Art" von "Sea Breeze" wettert, dürfte einerseits daran liegen, dass das Manöver im Schwarzen Meer stattfindet und damit nahe der russischen Grenze. Seit der Annexion der Krim reagiert Russland hier äußerst sensibel auf Vorfälle, die es stets als Provokationen verurteilt. Erst im April führte Russland hier ebenfalls ein Manöver durch und sperrt derzeit bestimmte Seegebiete. Nicht zuletzt der Zwischenfall mit dem russischen Zerstörer "Defender" zeigt die Nervosität, mit der Russland hier agiert. Aber auch, dass Zwischenfälle schnell eskalieren könnten.
Andererseits aber bietet das Manöver Präsident Putin die Gelegenheit, von innenpolitischen Problemen abzulenken - von der Corona-Lage über die geringe Impfbereitschaft bis zur Unterdrückung der Opposition. Die Betonung einer Gefahr von außen, in diesem Fall durch westliches Militär, dient immer auch dazu, die eigene Bevölkerung zu einen. Erst vergangene Woche gab es auf der Moskauer Sicherheitskonferenz scharfe Kritik am Westen. Und auch "Sea Breeze" wolle man genau beobachten, hieß es aus der russischen Regierung, und "im Zweifel der Lage angemessen reagieren. Im Interesse der Sicherheit der Russischen Föderation." Dazu dient dann wohl auch das Großmanöver "Sapad", das Russland im September wieder zusammen mit Belarus veranstaltet.
Quelle: ntv.de
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