Militäreinsatz im NachbarlandUnruhen in Kasachstan kommen für Putin zur Unzeit
Kasachstan ist ein autoritär regiertes Land, galt aber lange als stabil. Nun jedoch erschüttern Unruhen den zentralasiatischen Staat. Die Regierung bittet gar ausländisches Militär um Hilfe. Wie kam es dazu - und was bedeutet das für Russland und Europa?
Wenn in Kasachstan Statuen von Nursultan Nasarbajew gestürzt werden, dann wankt mehr als eine Reihe von Standbildern. Nasarbajew regierte von 1990 bis 2019 mit harter Hand, seither lenkt er die Geschicke des Landes weiterhin, wenn auch aus dem Hintergrund. Die Hauptstadt Nur-Sultan wurde nach ihm benannt, seine Rolle als "Führer der Nation" ist gar in der Verfassung festgeschrieben.
Seit dem Wochenende wird Kasachstan jedoch von heftigen Unruhen erfasst. Auch die Auflösung der Regierung und Nasarbajews Rücktritt als Chef des Sicherheitsrates konnten die Lage am Mittwoch nicht beruhigen. Mehr als 1000 Menschen wurden bisher bei den Protesten verletzt, Dutzende Demonstranten kamen ums Leben. Offiziell bestätigt sind die zivilen Todesopfer bisher jedoch nicht, die Behörden äußern sich nicht dazu. Nur der Tod von 13 Sicherheitskräften wurde bekanntgegeben - zwei der Leichen seien geköpft aufgefunden worden, berichteten Medien unter Berufung auf das Staatsfernsehen.
Vor allem Bilder aus Almaty, der größten Stadt des Landes, zeigen die Spuren heftiger Krawalle: ausgebrannte Autos, zerstörtes Mobiliar, geplünderte Geschäfte, dazu etliche schwer bewaffnete Einsatzkräfte und gepanzerte Fahrzeuge. Laut Innenministerium haben Demonstranten versucht, mehrere Polizeistationen zu stürmen. Auch die Residenz des Präsidenten soll in Brand gesteckt worden sein. Die Informationslage ist allerdings schwierig. Nach Angaben der russischen Staatsagentur Tass waren etwa Webseiten des Präsidialamts und anderer Regierungsbehörden nicht zu erreichen. In der Wirtschaftsmetropole Almaty herrschte demnach ein kompletter Internetausfall, womit auch soziale Netzwerke lahmgelegt waren. Auch das Mobilfunknetz wurde abgeschaltet.
Ausgelöst wurden die Proteste durch stark gestiegene Treibstoffpreise in dem Land, das über große Vorkommen an Öl und Gas verfügt. Die Rücknahme der Preisverdopplung brachte jedoch nichts mehr - mittlerweile richtet sich die Wut, die sich ausgehend von Westkasachstan schnell über das ganze Land ausgebreitet hat, allgemein gegen die autoritäre Regierung von Staatschef Kassym-Schomart Tokajew und generell gegen die kasachische Elite, gegen Unfreiheit und Korruption, gegen hohe Lebensmittelpreise und Stromausfälle.
Russland macht das Ausland verantwortlich
Der Staat reagiert entsprechend hart auf die Demonstrationen: Präsident Tokajew rief den Ausnahmezustand aus, sprach von "im Ausland ausgebildeten Terroristenbanden", Polizei und Militär gehen brutal gegen die Proteste vor. Und das Ausland wird um Hilfe gebeten, die aus mehreren Ex-Sowjetrepubliken bestehende Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) entsendet eine sogenannte Friedenstruppe. Dazu gehören russische Fallschirmjäger, wobei unklar ist, um wie viele Soldaten es sich handelt.
Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin kommen die Proteste zur Unzeit, nicht nur wegen der Entsendung der Truppen. In diesen Tagen gibt es mehrere Termine zur Krise an der russisch-ukrainischen Grenze. Geplant sind Gespräche im sogenannten Normandie-Format, außerdem mit der NATO und der OSZE. Die heftigen Unruhen im benachbarten Kasachstan binden nun nicht nur Putins Aufmerksamkeit. Vor allem kann er sich nun nicht als mächtiger Staatsmann auf internationaler Bühne, auf Augenhöhe mit dem Westen präsentieren. Der Blick der russischen Öffentlichkeit wird vielmehr auf die brutale Unterdrückung der Proteste im Nachbarland gelenkt.
Der US-Politikwissenschaftler Michael McFaul, von 2012 bis 2014 Botschafter seines Landes in Russland, verweist auf Twitter noch auf ein anderes Problem: In der russischen Elite habe das kasachische Modell auch als Vorbild für Putin gegolten. Genau wie Nasarbajew könnte der Kreml-Chef als Präsident zurücktreten, aber als mächtiger Mann aus dem Hintergrund weiter die Fäden in der Hand behalten und die Machtübergabe kontrollieren. Dieser Weg gelte nun "wahrscheinlich nicht mehr", glaubt McFaul.
Auch strategisch sind die Unruhen für Putin ein Rückschlag. Nach der brutalen - und international verurteilten - Niederschlagung der oppositionellen Proteste in Belarus vor zwei Jahren kriselt es nun erneut bei einem engem und benachbarten Verbündeten. Und das in Kasachstan, das zwar als autoritär regiert, aber auch stabil galt. Nicht umsonst sucht der Kreml die Schuld anderswo: Es handele sich um einen aus dem Ausland gesteuerten Versuch, die Sicherheit und Integrität des Landes gewaltsam zu unterwandern, erklärte das russische Außenministerium.
USA und EU fordern Zurückhaltung
Dass die Proteste nun so rasant um sich griffen und Tausende Menschen auf die Straßen trieben, dürfte nicht nur in Moskau, sondern auch in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken mit Aufmerksamkeit verfolgt werden. Die schnelle Entsendung von Truppen aus Russland, Armenien, Belarus, Kirgisistan und Tadschikistan soll nun wohl schlimmeres verhindern. Das Eingreifen ausländischer Truppen könnte die Lage aber auch eskalieren lassen.
USA und EU appellieren an beide Seiten, den Konflikt friedlich beizulegen. "Wir bitten alle Kasachen, die verfassungsmäßigen Institutionen, die Menschenrechte und die Pressefreiheit inklusive einer Wiederherstellung des Internetzugangs zu respektieren und zu verteidigen", erklärte der Sprecher des US-Außenministeriums. Auch Brüssel rief zu Zurückhaltung auf. Die Souveränität der früheren Sowjetrepublik müsse gewahrt werden. "Die Gewalt muss aufhören", sagte ein Sprecher der Europäischen Union.
Sorgen dürften die Unruhen aber auch der deutschen Wirtschaft machen. Kasachstan ist wichtigster Handelspartner in Zentralasien und laut Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft viertgrößter Erdöllieferant. Rohstoffe wie die immens wichtigen Seltenen Erden, aber auch natürliche Ressourcen für erneuerbare Energien machen das Land für Investoren interessant, für Solaranlagen und Windparks und die Herstellung von grünem Wasserstoff.
Quelle: ntv.de
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