chlagabtausch statt Annäherung
So einen Antrittsbesuch eines Bundeskanzlers in Moskau hat es noch nicht gegeben: Weder Scholz noch Putin bemühen sich, tiefgreifende Differenzen zu überspielen. Im Gegenteil: Beide verbessern sich und drohen einander unverhohlen.
Olaf Scholz ist nach Moskau gereist, um einen Krieg zu verhindern, unter anderem. Er wollte sich nämlich auch dem russischen Präsidenten als neuer deutscher Regierungschef vorstellen. Sollte Wladimir Putin - wie zeitweise auch deutsche Medien und die NATO-Partner - über Scholz' Haltung zum Kreml gerätselt haben, lieferte der heute eine deutliche Antwort: ziemlich distanziert. So viel Kritik von einem Bundeskanzler hat sich Putin in seinen Jahren als Staats- und Regierungschef selten öffentlich anhören müssen. Ob dadurch ein Krieg in der Ukraine unwahrscheinlicher geworden ist, bleibt offen.
Doch der Reihe nach: Vier Stunden sitzen Scholz und Putin zusammen. "Wir haben kein Thema ausgelassen", bekundet Scholz hernach in der gemeinsamen Pressekonferenz. Von Wirtschaftsbeziehungen über mögliche klimapolitische Kooperation bis hin zu Fragen von Demokratie und Medienfreiheit reicht das Tableau. Doch während Gastgeber Putin in seinem zehnminütigen Eröffnungsstatement die Fragen wirtschaftlicher Kooperation ausführlich thematisiert, hält sich Scholz nicht allzu lange an verbindenden Elementen auf.
Scholz wagt die Einmischung
Der Bundeskanzler betont zwar die Bedeutung von persönlichem Austausch zwischen beiden Ländern, stellt aber im gleichen Atemzug fest, an wem dieser derzeit scheitert: Er habe die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass die "Blockade" des Petersburger Dialogs enden werde, sagt Scholz. Nach nicht einmal drei Minuten kommt er bereits auf die schwierige Menschenrechtslage in Putins Reich zu sprechen, mischt sich also nach Kreml-Lesart in innerrussische Angelegenheiten ein, als er sagt: "Mit Sorge sehen wir, wie die Räume in der Zivilgesellschaft enger werden." Das Verbot der Nichtregierungsorganisation Memorial sei in Deutschland "auf großes Unverständnis gestoßen".
Auch bei weiteren innerrussischen Themen nimmt Scholz kein Blatt vor den Mund, als er ungewohnt deutlich Fragen von Journalisten beantwortet. Die Verurteilung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny sei "mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar". Zur Frage einer ukrainischen NATO-Mitgliedschaft stellt Scholz fest, die liege in so weiter Ferne, dass weder Scholz noch Putin sie im Amt erleben würden. "Ich weiß jetzt nicht, wie lange der Präsident vorhat, im Amt zu sein. Ich jedenfalls habe das Gefühl, das könnte länger dauern, aber nicht ewig." Scholz legt erkennbar wenig Wert darauf, Putins Zuneigung zu gewinnen.
Der hatte zwar ebenfalls keine freundlichen Worte für Scholz übrig, Kritik an Deutschland beschränkte sich aber auf die bisher nicht erteilte Sendeerlaubnis für den deutschsprachigen Arm des Staatssenders Russia Today in Deutschland. Moskau hatte sich hierfür jüngst revanchiert mit einem Entzug der Arbeitserlaubnis der Deutschen Welle. Putins Ausführungen hierzu verfolgt Scholz mit einem demonstrativen Grinsen, das ein bayerischer Regierungschef mal als "schlumpfig" berühmt gemacht hatte. Scholz Mimik gab zu verstehen, dass das Gespräch zum Thema keine inhaltliche Annäherung gebracht zu haben scheint.
Keine klaren Signale in Ukraine-Frage
Und der drohende Krieg in der Ukraine? Da lassen sich sowohl Zeichen der Entspannung als auch der Verhärtung des Konflikts aus Putins Ausführungen lesen. Er wiederholt bekannte Forderungen des Kremls, unter anderem nach einem Stopp der NATO-Erweiterung und einer Rückführung der NATO-Strukturen auf das Gebiet vor der Erweiterung im Jahr 1997, die so schlicht abgelehnt wurden. "Die Rückmeldungen, die wir bekommen haben, haben nicht die Forderungen, die wir gestellt haben, erfüllt", sagt Putin. Auch im Ostukraine-Konflikt sieht Putin die Regierung in Kiew am Zug: "Bekanntlich ist Kiew nicht bereit, die Forderung der Minsker Abkommen zu erfüllen." Und: "Treffen im Normandie-Format haben keine substanziellen Fortschritte gezeigt."
Scholz ist bereit, auf beides einzugehen: Von seiner Zwischenstation in Kiew am Vortag bringt Scholz die frohe Kunde mit, dass die ukrainische Regierung Gesetzentwürfe zur Umsetzung der Minsker Abkommen demnächst der trilateralen Verhandlungsgruppe vorlegen werden. Und Scholz betont die Einigkeit der NATO darüber, dass Frieden und Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen Russland zu haben sei. Die Lage sei schwierig, aber: "Ich weigere mich, sie aussichtslos zu bezeichnen." Dann wird Scholz grundsätzlich und auch ein wenig pathetisch: "Es ist unsere verdammte Pflicht und Aufgabe als Staats- und Regierungschefs, zu verhindern, dass es in Europa zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommt."
Von Belgrad in den Donbas
Weil aber eben diese Frage, ob Russland oder die westlichen Staaten den Frieden in der Welt gefährden, zwischen beiden Seiten höchst unterschiedlich beantwortet wird, kann Putin hierzu nicht schweigen: Scholz habe zwar recht, "allerdings waren wir Zeuge eines Krieges, angezettelt durch die NATO, als Belgrad bombardiert wurde", sagt Putin. Scholz will das nicht stehen lassen: "Es gab die Gefahr eines Völkermordes und das musste verhindert werden."
Daraufhin Putin: "Das, was heute im Donbas passiert, grenzt an Völkermord." In der Region haben die mehrheitlich russischsprachigen Bewohner von den von Russland unterstützten Rebellen russische Pässe ausgegeben bekommen. Während Scholz in Moskau zu Besuch ist, fordert das russische Parlament (Duma) Putin auf, die russischen Staatsbürger im Donbas vor den Ukrainern zu beschützen. Er solle die Republiken Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anerkennen. Putin sagt, er wolle den Auftrag umsetzen. Noch aber gebe es die Chance, das im Rahmen des Minsker Abkommens zu tun, sagt Putin. Scholz warnt, eine Umsetzung der Duma-Resolution wäre eine "politische Katastrophe".
Scholz will von Schröder nichts wissen
Gen Ende der Pressekonferenz wird Scholz noch von einem ungeliebten Thema heimgesucht. Putin referiert ausführlich über die strategische Bedeutung der Pipeline Nord Stream 2 und über die Rolle von Altkanzler Gerhard Schröder, diese Gasleitung auf den Weg zu bringen. Deutsche, die nicht das Dreifache oder Fünffache für ihr Gas bezahlen wollen, sollten Schröder daher dankbar sein. Zudem profitiere Deutschland davon, wenn Schröder demnächst in den Aufsichtsrat von Gazprom einziehen sollte. Auch hier keine Einigkeit, als Scholz über Schröder sagt: "Er spricht nicht für die Bundesrepublik Deutschland, sondern für sich."
Auch bei Nord Stream2 gibt es diesmal bei Scholz kein Vertun: "Was die Pipeline selber betrifft, wissen alle, was los ist", sagt Scholz, ohne auszuführen, was denn genau los ist. Den Ausführungen lässt sich aber entnehmen, dass im Fall einer kriegerischen Eskalation in der Ukraine auch Nord Stream 2 Teil eines nie dagewesenen Sanktionspakets sein dürfte. Scholz zeigt sich zuversichtlich, dass diese Botschaft verstanden wurde, auch wenn er und Putin sich persönlich kaum verstanden haben.
Quelle: ntv.de
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