Montag, 4. April 2022

die Gräueltat von Butscha verändert zuerst die Wahrnehmung des Krieges und dann – womöglich – auch den Kriegsverlauf selbst:

 

die Gräueltat von Butscha verändert zuerst die Wahrnehmung des Krieges und dann – womöglich – auch den Kriegsverlauf selbst:

Über 410 Zivilisten wurden nach ukrainischen Angaben in der Kleinstadt Butscha 25 Kilometer nordwestlich von Kiew ermordet. Nach dem Abzug der russischen Armee fand man ihre Leichen überall verstreut, den vom Fahrrad geschossenen Mann, die Frau, die eben noch ihre Kartoffeln die Dorfstraße entlang trug, den Jungen, der neben seinem Vater im Auto saß, bevor sein junges Leben beendet wurde. Teilweise waren die Toten gefesselt, viele wurden offenbar per Kopfschuss hingerichtet.

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Vitali Klitschko © imago

Es ist wie in einem Horrorfilm, sagte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko bei der gespenstisch anmutenden Ortsbegehung:

 Die russischen Soldaten haben eine Safari auf Zivilisten veranstaltet. “

Die internationale Politik wurde durch das Ereignis aus ihren Routinen gerissen:

  • Joe Biden verschärfte den Ton. Der US-Präsident forderte, den russischen Staatschef Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen. „Er sollte zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte Biden im Garten des Weißen Hauses.

  • Auch der französische Präsident Emmanuel Macron forderte, dass Russland vor der internationalen Justiz wegen Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden müsse.

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  • Wolodymyr Selenskyj warf Moskau „Völkermord“ vor und spricht von unfassbaren Gräultaten der russischen Armee:

 Warum wurden gewöhnliche Zivilisten in einer friedlichen Stadt zu Tode gefoltert? Warum wurden Frauen erdrosselt, nachdem sie ihnen die Ohrringe abgerissen hatten? Wie konnten sie Frauen vor den Augen der Kinder vergewaltigen und töten? Ihre Körper auch nach ihrem Tod verspotten? Warum haben sie die Körper von Menschen mit Panzern überfahren? Was hat Butscha ihrem Russland getan? “

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Olaf Scholz © dpa

Die Bundesregierung gerät damit weiter unter Druck. Schon bisher war Olaf Scholz der Spätberufene, wenn es um Wirtschaftssanktionen und Waffenlieferungen an die Ukraine ging. Deutschland ist die Zauderliese des Westens. Auch gestern wieder war dem Kanzler kein klares Wort zu entlocken:

 Wir werden im Kreis der Verbündeten in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen beschließen. “

Was man so sagt, wenn man nichts sagen will. Was man sagt, wenn man keine weiteren Wohlstandseinbußen in Kauf nehmen möchte. Olaf Scholz liebt den Status Quo mehr als den Freiheitskampf.

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Annalena Baerbock © imago

Die Außenministerin immerhin beherrscht die Placebo-Politik. Sie verwies 40 russische Diplomaten als „unerwünschte Personen” außer Landes und erklärte:

 Dieser Unmenschlichkeit müssen wir die Stärke unserer Freiheit und unserer Menschlichkeit entgegensetzen. “

Die russische Regierung zeigte sich keineswegs demütig, sondern ging zum Gegenangriff über. Sie will sich gegen die Vorwürfe wehren, und hat verlangt, dass der UN-Sicherheitsrat eine Sondersitzung abhält. Die ukrainische Staatsführung versuche, die Friedensgespräche zu stören und die Gewalt mit einer „Provokation“ in der Ortschaft eskalieren zu lassen. Russlands Außenminister Lawrow sprach von einem „erfundenen Angriff“.

Fazit: Der Krieg ist in eine neue und unversöhnliche Phase eingetreten. Wie Ukrainer und Russen, wie der Westen und Russland je wieder zueinander finden können, ist heute morgen unklarer denn je.

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Paul Ronzheimer © Twitter

Es sind nicht mehr viele Journalisten, die in Kiew ausharren und als Ohren- und Augenzeugen aus diesem Krieg berichten. Paul Ronzheimer, stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung, ist einer von ihnen. Auch in Butscha hat er sich vor Ort einen Eindruck verschafft. Nach seiner Rückkehr in das Stadtzentrum von Kiew habe ich ihn angerufen und für den Pioneer Podcast mit ihm gesprochen – über das, was er gesehengehört und gefühlt hat.

 Das war wie in einem Horrorfilm: überall Leichen auf den Straßen. Wir haben einen Mann gesehen, der auf seinem Fahrrad saß und Kartoffelsäcke dabei hatte – abgeschossen. Wir haben Menschen gesehen, denen die Hände zusammengebunden wurden auf dem Rücken und man sieht die Einschusslöcher an den Köpfen. “

Pioneer Podcast mit Paul Ronzheimer - 05.04.2022
Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Alle waren Zivilisten:

 Bei keiner dieser Leichen hatte es ein Zeichen gegeben, dass das Soldaten waren. Alle haben Zivilkleidung getragen. “

Fazit: Hier erzählt ein Kriegsreporter alter Schule, nicht was er denkt und glaubt, sondern was er sieht. Durch seine Augen sehen auch wir klarer.

In seinem aktuellen Gastbeitrag für The Pioneer analysiert der frühere Außenminister und World Briefing Mann Sigmar Gabriel die Auswirkungen von Putins Krieg auf die weltpolitischen Akteure.

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