Dienstag, 5. April 2022

totgesagte leben länger

 

06.04.2022
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Guten Morgen Rolf Koch,

mit großer Entschlossenheit hat die Öffentlichkeit ihre Angstökonomie verändert: Die Furcht vor der Klimakatastrophe wurde durch die Kriegsangst ersetzt, statt in Grad Celsius wird nun in Panzerdivisionen gerechnet, die neue Greta Thunberg heißt Wolodymyr Selenskyj.

Im Schatten dieser Veränderung der Aufmerksamkeitspotenziale feiert eine alte, untergegangen geglaubte Welt ihre Wiederauferstehung. Firmen, die mit Öl, Gas und Waffen ihre Geschäfte betreiben, erleben eine Renaissance. Große Teile der globalen Wirtschaft haben ihre (ohnehin nur widerwillig) unterzeichneten Nachhaltigkeitserklärungen dem Altpapiercontainer anvertraut und den Hebel in Richtung der neuen alten Weltordnung umgelegt. Das Ölzeitalter ist beendet. Es lebe die Ölindustrie!

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Ölförderung © dpa

Die Politiker, auch die der Grünen, marschieren an der Spitze der Bewegung – und damit in exakt die entgegengesetzte Richtung ihrer bisherigen Politik. Plötzlich soll die fossile Energie, die bekanntermaßen die Hauptursache für steigende CO2-Emissionen ist, nicht mehr verteuert, sondern verbilligt werden. Der deutsche Staat nimmt bereitwillig neue Schulden auf, um den Bürgern beim Tanken und Heizen zu helfen. In der tiefen Verneigung des Robert Habeck vor den Scheichs von Katar feiert ein ironisch gestimmter Zeitgeist den Sieg des Seins über das Bewusstsein.

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Robert Habeck und Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani © dpa

Selbst die Hersteller von Solaranlagen bekommen die geostrategische Zeitenwende zu spüren – und zwar negativ. Die Regierung von Joe Biden huldigt rhetorisch zwar weiter dem Ausbau der erneuerbaren Energien, aber die aggressive Handelspolitik – Stichwort Entkopplung gegenüber China – hat plötzlich Vorrang.

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Durch hohe Importzölle werden wichtige Bauteile der US-Solarfabriken um 50-250 Prozent verteuert. Nicht nur direkte Importe aus China, sondern auch die von amerikanischen Herstellern als Ausweichhandlung organisierte Verlagerung der Produktion nach Malaysia, Thailand, Vietnam und Kambodscha wird bestraft. George Hershman, der Chef des größten amerikanischen Erbauer von Solarfabriken namens Solv Energy, sagt:

 Die neue Regierung fügt den erneuerbaren Energien mehr Schaden zu als Donald Trump. “

Dagegen erfreuen sich die totgeglaubten Vertreter der fossilen Energieträger einer überraschenden und von der Wall Street bereitwillig finanzierten Revitalisierung. Selbst die Financial Times wundert sich:

 Globale Banken haben im letzten Jahr 742 Milliarden Dollar an Finanzierungen für Kohle-, Öl- und Gasunternehmen bereitgestellt, trotz der Fanfare von Klimazusagen. “

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Jamie Dimon © imago

Wer nur auf die Bilanzen schaut und nicht auf die Presseerklärungen, erfährt die unbequeme Wahrheit: Die 60 größten Kreditgeber der Welt haben in Summe seit dem Pariser Klimaschutzabkommen 4,6 Billionen Dollar in fossile Energieprojekte gepumpt. Die Finanzierung fossiler Energie wird dominiert von vier großen US-Banken, angeführt von JPMorgan Chase, gefolgt von Wells Fargo, City Group und der Bank of America.

Alle vier Banken sind Mitglieder der „Net-Zero Banking Alliance“, die sich auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen in Glasgow gegründet hatte. Doch die Beteiligten wissen zwischen PR und Profit zu unterscheiden. JPMorgan, seit sechs Jahren der bedeutendste westliche Finanzierer von Gazprom, hat seine Finanzierung in fossile Firmen in 2021 gegenüber 2020 deutlich erhöht. Die Bank sagt, sie müsse dafür sorgen, „dass die Welt weiterhin mit sicherer und bezahlbarer Energie versorgt wird“.

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Amin H. Nasser © dpa

Mittlerweile gehen alle Marktteilnehmer davon aus, dass die Exploration, die Veredelung und der Vertrieb von Öl und Gas auf absehbare Zeit ein großes Geschäft bleibt. Die Aktien der Öl-Multis reflektieren exakt diese Einschätzung. Bei Saudi Aramco etwa steht für das vergangene Jahr ein Rekord-Nettogewinn von 101 Milliarden Euro in den Büchern – doppelt so viel wie im Vorjahr und siebenmal mehr als die Volkswagen-Bilanz ausweist.

Teaser - Infografik - 06.04.2022

Große Fondsgesellschaften wie Warren Buffetts Berkshire Hathaway profitieren unmittelbar von der neuen Prioritätensetzung. Der Kurs hat seit Kriegsausbruch in Europa um mehr als zwölf Prozent zugelegt. Buffett, ein Kritiker der staatlichen Klimaschutzpolitik, hatte sich rechtzeitig mit Anteilen von Occidental Petroleum und Chevron eingedeckt und sein fossiles Portfolio konsequent ausgebaut. Er lebt in der Rockefeller-Welt des 19. Jahrhunderts.

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Warren Buffett © dpa

„Fridays for Future"-Demonstration in Berlin.
„Fridays for Future“-Demonstration in Berlin. © dpa

Die Kritik von Umweltschützern nimmt er mit derselben Gelassenheit hin wie die Kapriolen des Wetters in Nebraska. Seine Beteiligungsgesellschaft, zu der über 80 Unternehmen gehören und die einen Börsenwert von 770 Milliarden Dollar aufweist, rangiert am untersten Ende einer Liste von Firmen, die sich für den Klimaschutz engagieren.

Die Liste der einflussreichen „Climate Action 100+ group“ vergleicht 166 Firmen und ihre Klima-Aktivitäten miteinander. Sie kommt zu dem Schluss, dass zwar viele Firmen große Erklärungen abgegeben hätten, aber der Fortschritt - wenn überhaupt - nur sehr langsam vonstatten gehe. Buffett ficht das nicht an. Er entgegnet lapidar:

 Wir werden uns im Laufe der Zeit an die neuen Gegebenheiten anpassen, so wie wir uns an alle möglichen Dinge angepasst haben. “

Fazit: Putins Krieg hat auch dem Zeitgeist nicht gutgetan. Die Augenblicks-Gier nach Wohlstand und Gemütlichkeit, um mit Ingeborg Bachmann zu sprechen, hat wieder die Regie übernommen.

Ohne dass in einem unserer Parlamente je darüber gesprochen wurde, findet vor aller Augen eine wichtige Prioritätenverschiebung statt. Die Dekarbonisierung des Wirtschaftssystems wurde vom Jahrhundertprojekt zum Nice-To-Have heruntergestuft. Dieser Opportunismus von Politikern und Investoren ist nicht links und nicht rechts, nur kurzsichtig. Die Ignoranz von heute ist die Revolte von morgen.

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