Clearstream und Euroclear zwischen den Fronten

(Bild: T. Schneider / Shutterstock.com)
Euroclear und Clearstream verwahren Billionen. Jetzt geraten sie durch eingefrorene russische Gelder ins Kreuzfeuer der Politik.
Unternehmen wie Euroclear oder Clearstream agieren im Normalfall im Verborgenen der globalen Finanzarchitektur. Sie verwahren Wertpapiere von Staats- und Unternehmensanleihen bis zu Aktien und Derivaten, wickeln Käufe und Verkäufe ab und noch vieles mehr.
Diese Aufgaben erfüllen sie üblicherweise neutral und unpolitisch – doch der Krieg in der Ukraine, konkreter: die westlichen Sanktionen gegen Russland – haben sie selbst in den Mittelpunkt eines geopolitischen Konflikts gestellt – mit bislang unklaren Folgen.
Clearstream: Der Wettbewerber mit anderem Profil
Während sich das mediale Interesse in den vergangenen Wochen und Monaten auf Euroclear mit Sitz in Belgien konzentrierte, blieb Clearstream weitgehend unbeachtet. Doch wie die Financial Times (FT) jetzt berichtete, könnte die Tochter der Deutschen Börse auch von dem geopolitischen Ringen betroffen sein, wenn auch weniger direkt.
Clearstream verwahrt laut Bericht hauptsächlich private russische Vermögenswerte und hat sie in Milliardenhöhe eingefroren. Russische Staatsanleihen hält das Unternehmen dagegen nur im Umfang von weniger als 10.000 Euro.
Das liegt laut Bericht primär daran, dass Clearstream sein Geschäft mit Russland ab dem Jahr 2014 deutlich reduziert hat. Damals gliederte der Kreml die Krim in den russischen Staatsverband ein. Seitdem fokussierte sich das Unternehmen stärker auf die Ukraine.
Diese strategische Entscheidung verschafft Clearstream heute einen gewissen Abstand zu den aktuellen Konflikten um russische Zentralbankvermögen. Gleichwohl räumt sie die rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken nicht komplett aus.
Von eingefrorenen Geldern zur Kreditsicherung
Die EU fror nach der russischen Invasion in der Ukraine rund 210 Milliarden Euro ein, die der russischen Zentralbank gehören. Rund 185 Milliarden Euro davon liegen bei Euroclear, laut FT hauptsächlich als Bargeld aus fällig gewordenen Anleihen.
Die EU-Kommission erwog, diese Gelder als Sicherheit für einen Kredit an die Ukraine zu nutzen. Der Plan scheiterte jedoch, unter anderem, weil sich die europäischen Staats- und Regierungschefs nicht auf die von Belgien geforderten Garantien einigen konnten.
Belgien befürchtete erhebliche Risiken für Euroclear. So hatte etwa die Ratingagentur Fitch laut FT gewarnt, die Bonität von Euroclear herabzustufen, weil mit Liquiditätsproblemen zu rechnen sei.
Eingefrorene Vermögen von Zentralbanken für die Ukraine nutzbar zu machen, ist wohl eine juristische Grauzone. Denn eigentlich genießen sie durch die Staatenimmunität umfassenden Schutz.
Die Gelder als Kreditsicherung zu nutzen, wird bei Beck Online als juristischer Balanceakt beschrieben. Noch problematischer wäre allerdings eine direkte Enteignung der Zentralbankgelder.
Fragmentierung des Finanzsystems befürchtet
Kritiker warnen vor einer Fragmentierung des internationalen Finanzsystems. Länder könnten ihre Währungsreserven aus europäischen Finanzzentren abziehen, wenn sie befürchten, dass ihre Vermögenswerte beschlagnahmt werden könnten.
Eine Person, die laut FT mit den Verhandlungen vertraut ist, sagte laut Bericht, Länder wie China und Russland würden sich niemals in eine solche Situation begeben wollen.
Die Sorgen haben reale Grundlagen. Russland beschlagnahmte bereits westliche Vermögenswerte in Russland zur Entschädigung Betroffener und reichte eine Klage gegen Euroclear ein.
Das Unternehmen musste demnach 200 zusätzliche Mitarbeiter einstellen, die sich mit den russischen Vermögenswerten befassen. Die Geschäftsführerin Valérie Urbain erhielt nach Drohungen zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen.
Auch Clearstream spürt die rechtlichen Risiken, die von Sanktionen ausgehen. In einem konkreten Fall, der Anfang 2025 vor dem Bundesgerichtshof verhandelt wurde, ging es um iranische Vermögenswerte, die aufgrund von US-Sanktionen eingefroren wurden.
In diesem Fall ging es zwar nur um eine verhältnismäßig geringe Summe von rund elf Millionen Euro. Aber dennoch blieb die Frage, ob Clearstream schuldhaft handelte, weil das Unternehmen US-Sanktionen vollstreckte.
Ein ähnliches Risiko, von Schadensersatzansprüchen betroffen zu sein, dürfte auch jetzt bestehen.
Systemrisiko oder beherrschbares Wagnis?
Das Risiko, das mit der Nutzung der russischen Zentralbankgelder verbunden ist, dürfte der EU-Kommission bekannt sein. Ein EU-Beamter hatte schon Anfang 2024 gegenüber Reuters vor einer möglichen Eskalation gewarnt.
Russland könnte, so seine Aussage damals, Ansprüche auf Euroclear-Gelder in Moskau, Hongkong und Dubai geltend machen. Westliche Banken könnten ebenfalls gegen Euroclear klagen.
Im schlimmsten Fall könnte der Clearingstelle das Kapital ausgehen, die belgische Zentralbank müsste ihr die Lizenz entziehen. Die Folge wäre eine weltweite Finanzkrise, da Euroclear Vermögenswerte im Wert von rund 42,5 Billionen Euro verwahrt und Transaktionen von mehr als 1.100 Billionen Euro im Jahr abwickelt.
Deutsche Juristen bewerten die Lage laut Beck Online differenzierter. Die Nutzung von Zinserträgen aus den eingefrorenen Geldern sei risikoreich, aber nicht zwangsläufig systemgefährdend. Die USA nutzten seit Jahrzehnten aggressive Sanktionen, ohne dass der Dollar destabilisiert wurde.
Dennoch fehlen Präzedenzfälle für die aktuelle Situation. Und es wird auch nicht berücksichtigt, dass die USA eine andere Rolle in der Weltpolitik spielen als die vergleichsweise unbedeutende Europäische Union. Dasselbe dürfte auch für den Euro gelten









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