So hat der von den Nazis Vertriebene und später nach Ost-Berlin Zurückgekehrte im Angesicht des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953, als Bauarbeiter in der Stalin-Allee gegen das totalitäre SED-Regime demonstrierten, mit gespaltener Zunge reagiert. An Walter Ulbricht schrieb er noch am selben Tag: |
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Er begrüßte den Einsatz sowjetischer Truppen, die nun gegen die streikenden Arbeiter rabiat vorgingen. Zugleich, und nur das hat im Gedächtnis vieler Kulturhistoriker überlebt, schrieb er ein Gedicht mit den sarkastischen Schlusszeilen: „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?” Dieser Groll war nicht nachhaltig. Zwei Jahre später, im Mai 1955, fuhr er nach Moskau, um den „Stalinpreis für Frieden und Verständigung zwischen den Völkern” entgegenzunehmen.Brecht war beglückt: Ihm war dies „der höchste und am meisten erstrebenswerte Preis”. Die Sowjetunion hielt er unter Stalins Führung nicht für eine repressive, sondern für eine progressive Kraft, die er verehrte. Auch das unterschied ihn von Thomas Mann, den das Komitee des Internationalen Stalinpreises eigentlich für den Preis vorgesehen hatte. Thomas Mann lehnte ab. Er hielt den Preis für „unannehmbar”. Das Komitee entschied sich für Brecht. Im Nachruf auf Stalins Tod am 5. März 1953 schrieb Brecht in der Zeitschrift „Sinn und Form“: |
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Die 100.000 Rubel Preisgeld ließ sich der Kommunist zur Hälfte in Schweizer Franken auf ein Konto in Zürich überweisen, was auch bei den Moskauer Genossen für Erstaunen sorgte. Fazit: Die SED-Genossen haben Brecht geschont – und er sie. Unter den Einäugigen der DDR war er der Dichterkönig. Keiner hat die marxistische Verelendungstheorie so virtuos auf die Bühne gebracht. Im Zeitalter von Wohlfahrtsstaat und Massenwohlstand, die beide nach dem Mauerfall auch in Ostdeutschland Einzug hielten, verblasst jedoch seine realpolitische Wirkung. Der Westen dementiert ihn. Der heutige Brecht lässt sich – darin liegt die Ironie der Geschichte – als Prophet eines Fortschritts lesen, an den er selbst nicht geglaubt hat. |
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