Dienstag, 6. April 2021

Die ukrainische Regierung beklagt Tote und ist wegen der Konzentration von russischen Truppen unmittelbar an ihren Grenzen besorgt. Die Führung der Volksrepublik Donezk spricht dagegen offen von einem bevorstehenden Angriff der Ukrainer.

 POLITIK

Gefährlicher SchwelbrandPutin dreht Ukraine-Konflikt wieder auf

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Ein Mitglied der Donezker Miliz an der Demarkationslinie zum Rest der Ukraine.

(Foto: via REUTERS)

Seit zwei Wochen spritzt sich die Lage in der Ostukraine wieder zu. Während die Ukraine wegen der Verlegung der russischen Truppen an ihre Grenze besorgt ist, sprechen die Separatisten von einem baldigen Angriff der Regierungstruppen. Vor allem hat aber der russische Präsident Putin eigene Rechnungen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Selenskyj.

Im vergangenen Jahr war sie der unerwartete Lichtblick im seit 2014 laufenden Donbass-Krieg, der bisher nach UN-Angaben mehr als 13.000 Menschen das Leben kostete: die im Juli 2020 zwischen der ukrainischen Armee und den prorussischen Separatisten vereinbarte Waffenruhe, die anders als die meisten vorherigen Absprachen tatsächlich hielt. Doch spätestens seit Ende März 2021 verschärft sich die Lage wieder an der 450 Kilometer langen Frontlinie, die den von Kiew kontrollierten Teil des Donbass von den beiden selbsternannten und von Russland unterstützten Volksrepubliken Donezk und Luhansk trennt. Die ukrainische Regierung beklagt Tote und ist wegen der Konzentration von russischen Truppen unmittelbar an ihren Grenzen besorgt. Die Führung der Volksrepublik Donezk spricht dagegen offen von einem bevorstehenden Angriff der Ukrainer.

Tatsächlich ist die Situation vor Ort kompliziert. Ernsthaft eskaliert ist die Situation am 26. März, als an einem Tag vier ukrainische Soldaten ums Leben kamen und zwei weitere verletzt wurden. Da solche Verluste für die letzte Zeit höchst ungewöhnlich waren, wurde der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Ruslan Chomtschak, ins Parlament eingeladen, um die Lage vor Ort zu erklären. Chomtschak warnte anschließend vor einer Massenverlegung russischer Truppen an die Grenze zur Ukraine, die Mitte März im Rahmen eines Übungsmanövers stattgefunden haben soll. Der Kreml bestritt das gar nicht erst, sondern verwies darauf, dass es sich um das eigene russische Gebiet handele. Nach dem Ende der Übungen haben die Truppen jedoch die Region nicht verlassen - und so befinden sich dort nach Angaben von "New York Times" rund 4000 Soldaten.

Gleichzeitig zeigte der neue Bericht der Beobachtermission der OSZE vom 3. April, dass die Anzahl der Verstöße gegen die Waffenruhe in der Volksrepublik Luhansk um das Zehnfache gestiegen ist. Auch um die Volksrepublik Donezk verschärft sich laut der OSZE die Lage. Zusammen mit den russischen Staatsmedien weisen die Separatisten ihrerseits derzeit vor allem auf den tragischen Fall eines Kindes hin, das am 3. April am Stadtrand von Donezk angeblich bei einem Drohnen-Angriff ums Leben kam. Die Ukraine bestreitet die Vorwürfe kategorisch: Es gebe keine Beweise und der Ort sei so weit von der Frontlinie entfernt, dass ein Drohnen-Einsatz unmöglich wäre. Dagegen forderte der Vorsitzende der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, mit Verweis auf diesen Fall, die Ukraine aus dem Europarat auszuschließen.

Beide Seiten werfen einander Provokationen vor

Aus ukrainischer Sicht sind "die sogenannten Militärübungen und mögliche Provokationen entlang der Grenze" typisch für Russland, wie Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte. "Auf diese Weise versucht Moskau, während der Verhandlungen über einen Waffenstillstand eine Atmosphäre der Bedrohung und des Drucks zu schaffen." Kremlsprecher Dmitrij Peskow spricht seinerseits von Provokationen der ukrainischen Streitkräfte: "Sie gibt es, und sie sind leider zahlreich. Die Realität an der Kontaktlinie halten wir für beängstigend."

Seit der Vereinbarung des Friedensabkommens von Minsk im Februar 2015 läuft vor allem an der Frontlinie ein Positionskrieg, während der Großteil der Separatistengebiete von den eigentlichen Kriegshandlungen nicht mehr betroffen ist. Ursprünglich sollte das Minsker Abkommen dafür sorgen, nach Austragung einer von allen Seiten akzeptierten Kommunalwahl die Rückkehr des besetzten Donbass-Teils in die Ukraine zu ermöglichen. Doch die Erfüllung des Abkommens steckt in der Sackgasse. Russland besteht darauf, dass die Vereinbarung wortwörtlich umgesetzt wird. Dann würden die Kommunalwahlen noch vor der Übergabe der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze im Donbass an Kiew stattfinden. Die Ukraine würde also der Austragung von Wahlen in einem Gebiet zustimmen, welches sie gar nicht kontrolliert.

Kiew befürchtet, dass damit ein Teil der existierenden Separatistenstrukturen im Rahmen des ukrainischen Staates legalisiert würde - und zwar mit einem Recht auf eine erweiterte Autonomie. An dieser Haltung änderte sich auch mit der Wahl des neuen Präsidenten im April 2019 nichts. Und obwohl Selenskyj als weniger russlandkritisch im Vergleich zu seinem Vorgänger Petro Poroschenko gilt, sorgt ausgerechnet der Ex-Komiker in den letzten Monaten für beispiellos harte Schritte gegen Russland.

Übergabe, nicht Annexion dürfte das Ziel sein

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Zu diesen gehört die rechtlich fragwürdige Verhängung der Sanktionen gegen Wiktor Medwedtschuk, einen persönlichen Freund des russischen Präsidenten Putin, die zur Sperrung von drei wichtigen prorussischen Nachrichtensendern führte. Diese hatten als Sprachrohr einer prorussischen Partei agiert, die bei der letzten Parlamentswahl den zweiten Platz belegte. Unter Poroschenko spielte Medwedtschuk eine wichtige Rolle im Minsker Prozess, eine solche Aktion war nahezu unvorstellbar. Dass Russland deswegen verärgert ist, sollte keine Überraschung sein.

Allerdings hat Moskau nicht den Spielraum, um seine Stärke voll auszuspielen - vor allem wegen des Baus der Pipeline Nord Stream 2, der sich inzwischen in der Endphase befindet. Denn es gilt, vorerst weitere westliche Sanktionen zu vermeiden, um das Projekt nicht weiter zu gefährden. Für die nächsten Monate wird aber damit eine brandgefährliche Grundlage gelegt. Zwar ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich Russland ähnlich wie auf der Krim direkt in den Krieg in der Ostukraine einmischt, obwohl dies etwa von Margarita Simonjan, der Chefredakteurin des russischen Staatssenders RT, gefordert wird. Schließlich ist Moskau weniger an der Annexion des Donbass und mehr an der Übergabe der Region unter eigenen Bedingungen interessiert. Genau dazu will Russland die Ukraine vermutlich perspektivisch zwingen.

Quelle: ntv.d

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