Freitag, 11. Februar 2022

Eine russische Invasion könnte die Regierung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew innerhalb von zwei Tagen überrollen, bis zu 50.000 Zivilisten verwunden oder töten, und bis zu fünf Millionen Menschen könnten vor den chaotischen Folgen fliehen.

 Zwei Tage für Eroberung Kiews

USA entblößen Russland im Ukraine-Konflikt

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US-Präsident Biden und Russlands Staatschef Putin sprachen Anfang der Woche in einem Videocall miteinander.

(Foto: imago images/ZUMA Press)



Transparenz mit Verbündeten und der Öffentlichkeit, das zeichnet die USA in der Ukraine-Krise bislang aus. In den kommenden Tagen könnten russische Truppen über die Grenze in Richtung Kiew marschieren. Die USA gehen in diesem Fall von bis zu 50.000 möglichen zivilen Opfern und Millionen Flüchtlingen aus. Russland hat maximalen Druck für seine Forderungen aufgebaut.

"Jederzeit und ohne Vorwarnung" könne ein Einmarsch der Russen in die Ukraine beginnen, sagte US-Präsident Joe Biden am Donnerstag im US-Fernsehen: "Dinge könnten sehr schnell passieren." Als würde er sich selbst bestätigen wollen, telefonierte er nach einem Sicherheitsbriefing einen Tag später etwa 80 Minuten lang mit Verbündeten - unter anderen mit Bundeskanzler Olaf Scholz, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und verschiedenen Staatschefs. Das Weiße Haus warnte nun im direkten Gespräch: Russland könne jederzeit angreifen.

Die Ukraine ist laut US- und ihren eigenen Angaben aus drei Himmelsrichtungen von russischen Streitkräften umgeben. Im Norden von Belarus und Russland aus, im Osten von Russland und den abtrünnigen Gebieten der Ostukraine, und im Süden von der Krim und der russischen Marine. Den Informationen zufolge sei der kommende Mittwoch als Invasionsbeginn im Gespräch. Dies könnte jedoch auch eine absichtliche Fehlinformation sein, hieß es von den US-Verantwortlichen. Die USA verlegten umgehend 3000 Soldaten in Richtung Polen.

Am heutigen Samstag will Biden mit Putin wegen der Ukraine-Krise telefonieren. Auch ein Telefongespräch zwischen Putin und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist geplant.

Zu den rund 130.000 Soldaten in russischen Bodentruppen, die laut US-Angaben in der Nähe der Ukraine zusammengezogen sind, kommen auch Seestreitkräfte im Schwarzen Meer. Experten sagten "Politico", die Marinepräsenz sei mit Größenordnungen aus dem Kalten Krieg vergleichbar. Russland führt in Belarus eine riesige Militärübung mit zehntausenden Soldaten durch. Die Regierung in Kiew sagte am Freitag, auch die Separatisten in den ostukrainischen Gebieten führten mit geschätzt 30.000 Soldaten eigene Militärübungen durch. Die Ukraine hat ebenfalls Manöver angeordnet.

US-Geheimdienste und das Pentagon waren ursprünglich davon ausgegangen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin zumindest das Ende der Olympischen Winterspiele in China abwarten wolle, um den Verbündeten Präsidenten Xi Jinping nicht vor den Kopf zu stoßen, schreibt die "New York Times". Demnach ist der Zeitplan geändert geworden. Putin habe sich für einen Einmarsch entschieden, der noch vor Ende der Winterspiele am 20. Februar beginnen könnte. "Wir sehen weitere Anzeichen der Eskalation, darunter neue Truppen an der ukrainischen Grenze", sagte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan.

Radikal transparente USA

Ob es wirklich zum Einmarsch kommt oder Putin den militärischen Druck auf die Spitze treibt, um die Forderungen diplomatisch durchzusetzen, ist unbekannt. Russland fordert die Einhaltung des Minsker Abkommens von 2014 und 2015 sowie Sicherheitsgarantien von der NATO. Die Ukraine strebt mittel- bis langfristig einen Beitritt zum transatlantischen Verteidigungsbündnis und zur Europäischen Union an. Damit würden Nato und EU direkt an Russland angrenzen. Moskau will dies verhindern und eine Zusicherung, dass dies nicht geschieht.

Die Minsker Abkommen sind umstritten, weil die Regerungen in Kiew und Moskau sie unterschiedlich interpretieren. So sind darin etwa Regionalwahlen sowie ein Vetorecht der abtrünnigen Provinzen in der Ostukraine über bestimmte Gesetzesprojekte der Zentralregierung in Kiew vorgesehen. Die genauen Umstände sind nicht definiert. Kiew befürchtet, dies könne Moskau Kontrolle über innere politische Angelegenheiten verschaffen und fordert Garantien für freie Wahlen und gegen russischen Einfluss. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte vor wenigen Tagen, er halte sie für den "einzigen Weg zum Frieden, den einzigen Weg, eine machbare politische Lösung zu erreichen". Derzeit sieht es so aus, als müssten er und die anderen Verbündeten Kiews sich damit beeilen.

Wie auch immer es weitergeht in diesem Konflikt, die USA haben bislang eine klare Linie verfolgt: radikale Lautsprecher-Diplomatie. Allem Anschein nach machen sie alles öffentlich, was nicht bei drei in der Supergeheim-Schublade verschwunden ist. Biden und seine Regierung teilen ständig Informationen über ihre Erwartungen russischer Pläne und die eigenen Absichten. Damit setzen sie einen deutlichen Kontrapunkt zu Russland. "Das ist ungewöhnlich", sagte ein ehemaliger US-Botschafter in der Ukraine der "Washington Post": "Man könnte es vielleicht mit der Kuba-Krise 1962 oder dem Vorfeld zum Irakkrieg vergleichen."

Das russische Außenministerium dementierte die Warnungen der USA über einen unmittelbar bevorstehenden Einmarsch Russlands in die Ukraine: Diese seien "darauf ausgerichtet, die angemessenen Forderungen nach Sicherheitsgarantien zu untergraben und zu diskreditieren, als auch die geopolitischen Bestrebungen und militärische Vereinnahmung des ukrainischen Territoriums zu rechtfertigen". Russland setzte bereits beim ersten Ukraine-Krieg auf hybride Kriegsführung, also unter anderem das gezielte Streuen von Fehlinformationen.

Blitzinvasion bis nach Kiew

Anfang Februar waren bereits Einschätzungen der US-Geheimdienste und des Militärs zur Lage in der Ukraine-Krise durchgesickert. Eine diplomatische Lösung des Konflikts zwischen Russland, den NATO-Staaten und der Ukraine werde unwahrscheinlicher, hieß es darin. Eine russische Invasion könnte die Regierung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew innerhalb von zwei Tagen überrollen, bis zu 50.000 Zivilisten verwunden oder töten, und bis zu fünf Millionen Menschen könnten vor den chaotischen Folgen fliehen.

Sollte es dazu kommen, werden sich die Vereinigten Staaten so weit wie irgend möglich aus einem bewaffneten Konflikt heraushalten. Wohl auch deshalb warnte Biden die US-Bürger, sie sollten die Ukraine so schnell wie möglich verlassen, denn eine Evakuierungsaktion werde es nicht geben. Zu groß ist das Risiko, dass es zu einem Feuergefecht zwischen US-Truppen und russischen Soldaten kommen könnte und die Lage völlig außer Kontrolle gerät, Europa womöglich in einen offenen Krieg gegen Russland rutscht.

Biden will sich zudem nicht noch einmal eine solche Blöße geben wie bei seinem "Saigon-Moment" in Afghanistan. Da wurden Diplomaten und Mitarbeiter per Hubschrauber vom Botschaftsgebäude gerettet. Die folgende chaotische Evakuierungoperation am Kabuler Flughafen kostete viele Menschen das Leben und Biden auch Unterstützung im eigenen Land.

Quelle: ntv.de

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