Ankara und der Ukraine-KriegRingen um die Bosporus-Durchfahrt
Wenn die russische Marine Einheiten vom Mittelmeer ins Schwarze Meer - oder umgekehrt - verlegen will, muss sie durch den Bosporus. Die Ukraine fordert von der Türkei, die Meerenge für das russische Militär zu sperren.
Es war für Beobachter ein Spektakel und für die Anwohner ein immer wieder beliebter Zeitvertreib: Ein russisches U-Boot durchquerte vorvergangene Woche den Bosporus, nicht getaucht fährt es vorbei am ehemaligen Sultan-Palast. Bei Tageslicht. Nicht ungewöhnlich, aber durchaus auch als Machtdemonstration der russischen Marine zu verstehen. Denn russische Schiffe passieren am häufigsten die Meerenge, 2019 machten sie zwei Drittel aller Kriegsschiffe aus.
Obwohl die Türkei den Bosporus kontrolliert, ist die freie Durchfahrt seit 1936 international geregelt. Die Türkei darf die Schiffe kontrollieren und auch Gebühren erheben. In Artikel 2 im sogenannten Vertrag von Montreux heißt es: "In Friedenszeiten genießen Handelsschiffe in den Meerengen die vollständige Freiheit der Durchfahrt, bei Tag und bei Nacht, unter jeder Flagge und mit jeder Art von Ladung, ohne Formalitäten."
Regeln für Kriegsschiffe
Besondere Regelungen gibt es bei der Durchfahrt für Kriegsschiffe. In Friedenszeiten muss der Türkei die Durchfahrt über diplomatische Wege acht Tage vorher mitgeteilt werden. Dann dürfen maximal neun Schiffe tagsüber und einzeln passieren. Auch gibt es eine Begrenzung bei Größe und Tonnage.
Kriegsschiffe, die nicht Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres gehören, dürfen sich dort nicht länger als 21 Tage aufhalten. Befindet sich die Türkei im Krieg, so liegt die Regelung der Durchfahrt von Kriegsschiffen komplett in der Hand der türkischen Regierung.
Das Nadelöhr: Der Bosporus ist strategisch wichtig - deshalb rückt ihn die Ukraine jetzt ins internationale Blickfeld. Bild: picture alliance/dpa
Ukraine fordert Schließung
Mit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine rückt auch die Durchfahrt der türkischen Meerengen wieder in den Fokus. Die Verbindung ist für Russland wichtig: Vor allem zwischen dem russischen Militärstützpunkt Tartus bei Latakia in Syrien und dem Schwarzen Meer gibt es einen regen Austausch. Die Basis gilt als Versorgungspunkt für die Schwarzmeerflotte.
Die Ukraine forderte nun über ihren Botschafter in Ankara das NATO-Mitglied Türkei auf, den Bosporus und die Dardanellen-Durchfahrt bei Çanakkale für russische Schiffe zu schließen. Für die Türkei ist das brisant: Denn das Land hat im Schwarzen Meer eine Seegrenze mit den Anrainerstaaten Ukraine und Russland und unterhält zu beiden Staaten gute Beziehungen, auch wirtschaftlicher Art.
Türkei lehnt Gesuch ab
Der türkische Außenminister Çavuşoğlu bestätigt heute die offizielle Anfrage der Ukraine. Er macht aber klar, dass das Montreux-Abkommen in diesem Punkt sehr deutlich ist und die Türkei die Regeln wie bisher anzuwenden gedenke. Das gelte auch für Staaten, die an einem Krieg teilnehmen. Den russischen Kriegsschiffen werde deshalb weiter das Durchfahrtsrecht gewährt, um in ihre Heimathäfen im Schwarzen Meer zurückzukehren. Selbst bei einem Kriegszustand sei das möglich, so der Minister.
Historisch wichtige Passage
Die türkischen Meerengen, der Bosporus und die Dardanellen, die die Ägäis mit dem Marmara- und dann mit dem Schwarzen Meer verbinden, waren schon oft Schauplatz politischer Machtspiele. Die Osmanen kontrollierten die Passage mit mächtigen Festungen. Über Jahrhunderte konnte so kein fremdes Schiff ohne ihre Zustimmung zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer Waren transportieren.
Mit dem Untergang des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg standen der Bosporus und die Dardanellen unter internationale Kontrolle. Doch schon bald nach der Unabhängigkeit der Türkei 1923 wollte der türkische Herrscher Kemal Atatürk die Souveränität über die Meerengen wiedererlangen.
Die Türkei war als begehrter strategischer Bündnispartner in einer guten Position. So wurde am 20. Juli 1936 im schweizerischen Montreux ein Abkommen unterzeichnet, welches den noch jungen Staat Türkei strategisch stärkte. Im Zweiten Weltkrieg verhinderte dieser Vertrag, dass die Kriegsmarine der mit der Türkei lange befreundeten Achsenmächte durch die Meerenge fuhr und die Sowjetunion angriff.
An einer Revision des Vertrages hat die Türkei bisher kein Interesse gehabt, obwohl vor allem die USA bereits öfter darauf drängten. Der Grund: Mit einer Neuregelung gäbe das Land ein militärpolitisch und wohl auch wirtschaftlich wichtiges Machtinstrument aus der Hand.
Die Türkei im Dilemma
Nun also wieder eine Forderung, die Zufahrt neu zu regeln. Das bringt die Türkei in ein Dilemma. Auch wenn Präsident Recep Tayyip Erdogan Russland für den Angriff in der Ukraine deutlich kritisiert, will er sich eigentlich aus dem Konflikt heraushalten.
Der türkische Präsident, der nächstes Jahr eine Wahl gewinnen will, sieht sich eher als möglicher Vermittler oder Mittler zwischen den Konfliktparteien. Die Diskussion um die Sperrung des Bosporus kommt ihm da eher ungelegen, zumal Russland dies nicht akzeptieren dürfte
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen