PERSON DER WOCHE
Person der WochePipeline-Schröder, von Biden entmachtet
08.02.2022, 09:53 UhrKanzler Scholz schlingert durch den Konflikt mit Russland. Ein Grund dafür ist Gerhard Schröder. Der Gazprom-Lobbyist macht der neuen Bundesregierung das außenpolitische Leben schwer. In Washington bekommt Scholz dazu eine bemerkenswerte Lektion.
Für Olaf Scholz war es eine Lehrstunde der peinlichen Art. US-Präsident Joe Biden droht dem russischen Präsidenten Wladimir Putin offen mit dem Aus für die neue Pipeline nach Deutschland. Falls Russland in die Ukraine einmarschiere, "wird es Nord Stream 2 nicht weiter geben", donnert Biden - dabei hat er mit der Pipeline gar nichts zu tun.
Es wäre an Bundeskanzler Olaf Scholz gewesen, diese Drohung auszusprechen. Doch der stand auf der gemeinsamen Pressekonferenz nur dabei wie ein Zögling der Weltpolitik, dem gerade seine einzige politische Waffe vom großen Bruder aus der Hand genommen wird. Das nun entstandene Bild ist für Scholz fatal - er zögert wochenlang mit einer Festlegung, verweigert der Ukraine die dringend erbetene Waffenlieferung und lässt sich nun in Washington die Entscheidungsgewalt über die deutsch-russische Ostseepipeline abnehmen. Scholz ergänzt im Weißen Haus kleinlaut, man werde "gemeinsam agieren", weigert sich aber selbst auf Nachfrage, die konkrete Maßnahme und Drohung noch einmal zu wiederholen - als habe ihn Joe Biden düpiert.
Für Scholz' Zögerlichkeit in der Ukrainekrise und Pipelinefrage gibt es drei Erklärungen. Die wohlmeinende lautet, Scholz suche hinter den Kulissen einen diplomatischen Friedensweg und halte mit seiner schweigsamen Ambivalenz die Verhandlungstür nach Moskau offen. Die politprofessionelle Interpretation beschreibt einen unsicheren Kanzler, der außenpolitisch noch nicht trittsicher ist und lieber abtaucht, als Fehler zu machen. Die insiderige Sichtweise behauptet, dass das Lavieren in der Krise einen Namen trage: Gerhard Schröder. Der SPD-Altkanzler sei es, der Scholz seit Wochen mit pro-russischen Einlassungen in Nöte bringe.
Der Preis des Geldes ist der Verlust der Reputation
Dem hat Joe Biden nun einen Riegel vorgeschoben. Denn seit der Pressekonferenz ist klar, dass nicht mehr Gerhard Schröder oder Olaf Scholz entscheiden, ob die Pipeline im Krisenfall öffnet oder nicht, sondern Washington. Auf die Nachfrage einer Reuters-Journalistin, wie denn Biden die Pipeline überhaupt stoppen wolle, obwohl das doch nur Deutschland tun könne, antwortete Biden: "Ich kann Ihnen versprechen, wir werden das so handhaben."
Biden nimmt damit Schröder vom machtpolitischen Spielfeld. Putin hatte seinen Freund zuvor demonstrativ gestärkt und Schröder für den Aufsichtsrat des staatlichen russischen Gaskonzerns Gazprom nominiert. Die Hauptversammlung ist für den 30. Juni geplant. Schröder soll anstelle von Timur Kulibajew antreten, ein Schwiegersohn des soeben entmachteten kasachischen Ex-Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Der 77 Jahre alte Schröder ist bereits Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG und Präsident des Verwaltungsrats bei der Nord Stream 2 AG. Außerdem ist der frühere Kanzler Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft. Mehr bestbezahlte, demonstrative Putin-Lobby geht kaum. Aus Dankbarkeit attackiert Schröder dafür schon mal das angebliche "Säbelrasseln" der Ukraine, während jenseits der Grenze Putins Armee aufmarschiert.
Gerhard Schröder zahlt für seine Putin-Freundschaft und den Gazprom-Lobbyismus einen gewaltigen Reputations-Preis. Die öffentliche Kritik ist weiträumig und verheerend, für einen Altkanzler beinahe beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik. Der neue CDU-Chef Friedrich Merz meint: "Gerhard Schröder hat leider Halt und Anstand verloren. Seine persönliche Abhängigkeit von Russland empfinde ich mittlerweile als unangenehm und geschmacklos." Selbst aus der eigenen Partei wird Schröder scharf attackiert. Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal schimpft ihn einen "Interessenvertreter Russlands", die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer zeichnet das Bild eines SPD-Querdenkers: "Gerhard Schröder ist ein Ex-Kanzler und bekleidet kein Amt in der Partei. Ich kenne auch niemanden in der Partei, der seine Auffassungen teilt." Selbst Scholz ging nach seinem Besuch im Weißen Haus im CNN-Studio ungewöhnlich klar auf Distanz. "Er spricht nicht für die Regierung, er arbeitet nicht für die Regierung, er ist nicht die Regierung. Ich bin jetzt der Bundeskanzler", sagte er auf Englisch in einer Deutlichkeit, die er auf Deutsch zuvor so nicht hinbekommen hatte.
"Steigbügelhalter für Putins Interessen"
Die Demontage des Altkanzlers geht so weit, dass jetzt Koalitionspartner der SPD sogar den Ehrensold streichen wollen. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, machte sich dafür stark, "konkret darüber nachzudenken, Gerhard Schröder die Ausstattung eines Altbundeskanzlers zu entziehen". Schröder schade dem Land, dem er dienen solle, und "lässt sich dafür bereitwillig von einem Autokraten mehr als gut bezahlen. Apanage vom deutschen Staat ist damit nicht vereinbar." "Ein SPD-Altkanzler kann nicht gleichzeitig bei Gazprom und beim deutschen Staat abkassieren", meint der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn: "Wer zum Steigbügelhalter für Putins Interessen verkümmert, schadet Deutschland und ist seines Amtes unwürdig." Auch der deutsche Steuerzahlerbund fordert Schröder zum Verzicht auf seine Ausstattung auf. "Ich appelliere an Herrn Schröder, auf sein staatlich bereitgestelltes Büro, Mitarbeiter und Dienstwagen zu verzichten", sagte der Vizepräsident des Vereins, Michael Jäger.
Der Eklat über den Altkanzler hätte den Charakter einer peinlichen Posse, drohte Russland nicht mit einem Invasionskrieg mitten in Europa - und wäre da nicht seine enge Verbindung ins Kanzleramt und ins Präsidialamt.
Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz waren in der rot-grünen Regierung vor zwanzig Jahren das Machtzentrum der Republik. Diese drei waren ein eingeschworenes Trio: Kanzler, Kanzleramtschef und Generalsekretär. Selbst in den schwierigen Kämpfen um die Reformagenda 2010 hielten sie eng zusammen. Ohne dieses Dreieck des Vertrauens wäre die Agenda nie realisiert worden, und Deutschland kann rückblickend durchaus dankbar sein, dass die drei ein Reformprogramm zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit durchgezogen haben und ihre eigenen Karrieren dabei riskierten. Das Trio verbindet also Drama und Geschichte. Als Schröder noch SPD-Vorsitzender war, machte er Scholz zum SPD-Generalsekretär. Der verteidigte die Hartz-IV-Politik gegen Kritiker in den eigenen Reihen derart vehement und mit immer gleichen Formulierungen, dass er fortan "Scholzomat" geschimpft wurde. 2003, bei seiner Wiederwahl zum Generalsekretär, wurde er auf einem SPD-Parteitag mit 53 Prozent gedemütigt. Das gespaltene Verhältnis von Scholz zu seiner SPD hat dort ihren Ursprung.
Die Liebe der Stachelschweine
Wer solche Schlachten gemeinsam geschlagen und durchlitten hat, der erlebt politisches Bonding. Die Freundschaft der drei hat die Jahre überdauert. Als Olaf Scholz im Dezember seinen Kanzler-Amtseid ablegte, saß Schröder mit seiner Ehefrau auf der Tribüne im Bundestag, tags darauf präsentierte er am Potsdamer Platz ein Buch über Scholz. Dabei beschrieb er auch, wie bei Olaf Scholz Machtausübung und Richtlinienkompetenz funktioniert. Die stehe zwar im Grundgesetz, aber in der Praxis gehe es eher so zu wie bei Stachelschweinen, wenn sie Liebe machten. "Wissen Sie, wie das geht?", fragte Schröder in den Saal hinein und gab gleich selbst die Antwort: "Ganz vorsichtig." So wünscht sich Schröder das auch mit Blick auf Moskau.
Die besondere Beziehung zwischen Schröder, Steinmeier und Scholz erklärt, warum das Kanzleramt oder das Präsidialamt den grotesken Putinismus von Schröder nicht längst in die Schranken gewiesen hat. In Wahrheit hat Dreyer nur halb recht. Denn manche Schröderianer in der SPD haben eine ausgeprägte Sympathie für Putin-Appeasement, vom Ex-Parteichef Matthias Platzeck bis zur Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. Die hat sogar eine wesentlich von Gazprom finanzierte Stiftung etabliert, an deren Spitze ihr Vorgänger Erwin Sellering steht, ein Sozialdemokrat. Deren Zweck ist es, Zulieferer der Pipeline vor amerikanischen Sanktionen zu schützen.
Zur Putin-Schröder-Connection gehört außerdem der frühere Stasi-Offizier Matthias Warnig, Geschäftsführer bei Nord Stream 2. Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, kritisierte, dieses Netzwerk führe dazu, "dass sich die SPD schon schwertut, überhaupt Ross und Reiter zu nennen" in der Ukrainekrise. Oder die Pipeline gar infrage zu stellen. Das hat nun Joe Biden für die SPD getan.
Quelle: ntv.de
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