Der Kriegstag im Überblick
Russische Armee bereitet Angriff auf Kiew vor - USA und EU isolieren Russland weiter
11.03.2022, 22:20 Uhrngesichts des Leids der Bevölkerung in der Ukraine verstärkt der Westen nochmals den Druck auf Russland. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einer "humanitären Katastrophe": In Kiew und anderen Städten gebe es keinen Strom, kein Gas, kein Wasser mehr. Russland stellt seine Truppen offenbar neu auf, der Angriff auf Kiew könnte bald erfolgen. Die USA und die EU kündigten derweil neue Handelssanktionen gegen Russland an, die EU-Staats- und Regierungschefs berieten zudem über zusätzliche Militärhilfen für die Ukraine. Der 16. Kriegstag im Überblick.
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj appellierte in einer Videobotschaft eindringlich an die EU, mehr für sein Land zu tun. Russland wolle die Ukraine "zerstören" und ziehe dazu auch "syrische Mörder" heran, warnte er. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte zuvor den Einsatz von 16.000 "freiwilligen", hauptsächlich aus dem Nahen Osten stammenden Kämpfern in der Ukraine bewilligt. Dies kann ein weiteres Indiz dafür sein, dass die Invasion nicht so verläuft, wie sich der russische Präsident und seine Generäle dies vorgestellt haben. Dazu passt, dass Putin acht Generäle entlassen und zwei Mitarbeiter des Geheimdienstes FSB unter Hausarrest gestellt haben soll.
Russische Armee meldet Erfolge
Bei neuen Angriffen auf Ziele in der Ukraine zerstörten Russlands Streitkräfte nach eigenen Angaben 82 Militäranlagen. Darunter seien vier Kommando- und Kontrollzentren der ukrainischen Armee, sagte ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums laut der Nachrichtenagentur Interfax. Diese Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Seit Kriegsbeginn vor gut zwei Wochen sollen dem Sprecher zufolge 3346 ukrainische Militärobjekte zerstört worden sein. Nach russischen Angaben setzten die prorussischen Separatisten zudem ihren Vormarsch im Donezker Gebiet fort. Sie seien elf Kilometer von der eingenommenen Stadt Wolnowacha aus weiter in Richtung des Gebiets Saporischschja vorgerückt, hieß es. Von ukrainischer Seite gab es weiterhin keine Bestätigung für die Einnahme Wolnowachas. Zudem wurde erstmals die zentralukrainische Industriestadt Dnipro angegriffen, mindestens ein Mensch starb. Nach Angaben der Rettungskräfte trafen die Luftangriffe mehrere zivile Gebäude, darunter einen Kindergarten und eine Schuhfabrik.
Ein kilometerlanger Konvoi mit russischen Militärfahrzeugen vor der ukrainischen Hauptstadt Kiew zerstreut sich Angaben der US-Regierung stellenweise. Das Vorgehen diene wohl dazu, die Fahrzeuge besser zu tarnen, sagte ein hoher US-Verteidigungsbeamter. Wie weit Kiew bereits eingekesselt ist, konnte er nicht sagen. Aus nordwestlicher Richtung sei das russische Militär etwa 15 Kilometer vom Zentrum entfernt. Experten der britischen Regierung halten Angriffe russischer Truppen auf Kiew in den kommenden Tagen für wahrscheinlich.
Russen entführen Bürgermeister von Melitopol
Die Hauptstadt befinde sich im "Belagerungszustand", erklärte auch der Präsidentenberater Mychailo Podoljak. Kiew sei "bereit zu kämpfen" und werde "standhaft bis zum Ende sein", twitterte er. Die im Nordwesten gelegenen Vorstädte Kiews werden seit Tagen von schweren Luftangriffen erschüttert. Mittlerweile nähert sich die russische Armee der Hauptstadt aber auch von Nordosten her. Ukrainische Soldaten berichteten AFP-Reportern von heftigen Kämpfen um die Kontrolle der wichtigsten nach Kiew führenden Autobahn bei Welyka Dymerka.
In der von russische Truppen besetzten Stadt Melitopol sollen russische Soldaten nach ukrainischen Angaben den Bürgermeister der Stadt entführt haben. Iwan Fedorow sei bei einem Besuch des Krisenzentrums von Melitopol von einer Gruppe von "zehn Besatzern" verschleppt worden, als er sich um Versorgungsfragen kümmern wollte, teilte das ukrainische Parlament auf Twitter mit. "Er weigerte sich, mit dem Feind zu kooperieren", hieß es. Der stellvertretende Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Kirillo Timoschenko, veröffentlichte auf Telegram ein Video, auf dem Soldaten in einiger Entfernung aus einem Gebäude kommen und dabei einen schwarzgekleideten Mann mit sich führen, dessen Kopf offenbar in einem schwarzen Sack steckt. Die Stadt ist militärisch zwar unter russischer Kontrolle, aber es gibt immer wieder Protestmärsche der Bevölkerung gegen die russischen Besatzer.
Keine weiteren Evakuierungen in Mariupol
Besonders dramatisch ist die Lage weiterhin im seit mehr als zehn Tagen von der russischen Armee eingekesselten Mariupol. Nach Angaben der örtlichen Behörden wurden seit der Belagerung 1582 Zivilisten getötet, UN-Statistiken dokumentieren bisher 560 belegte Fälle. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) berichtete von katastrophalen Bedingungen für die noch rund 300.000 in der Stadt eingeschlossenen Zivilisten. Mehrere Anläufe, Menschen über vereinbarte Fluchtkorridore zu retten, sind bereits gescheitert.
Russland schürt Angst vor Einsatz von Massenvernichtungswaffen Russland warf der Ukraine und den USA vor dem UN-Sicherheitsrat die Entwicklung von Biowaffen vor. "Das Russische Verteidigungsministerium besitzt jetzt Dokumente, die bestätigen, dass es auf dem Territorium der Ukraine ein Netzwerk von mindestens 30 biologischen Labors gab", sagte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja bei einer Dringlichkeitssitzung in New York. Diese seien für "gefährliche Experimente" mit Erregern von Milzbrand, Tularämie, Cholera und anderen tödlichen Krankheiten genutzt worden. Dabei sei Kiew vom Pentagon unterstützt worden. Internationale Faktenchecker haben Behauptungen über ein Netz von Laboren aber bereits entkräftet. Auch die UN versicherten mehrfach, sie wüssten nichts über angeblich in der Ukraine produzierte Massenvernichtungswaffen. Die USA sprechen von "Propaganda" und einem möglichen Vorwand der Russen, um selbst Massenvernichtungswaffen im Ukraine-Krieg einzusetzen.
Rund 2,5 Millionen Ukrainer haben Land verlassen
Seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar sind laut Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR 2,5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Demnach waren mehr als 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine in Polen, gut 225.000 in Ungarn und 176.000 in der Slowakei untergekommen. Nach Deutschland kamen laut Bundespolizei bisher rund 110.000 Kriegsflüchtlinge. Zusätzlich zu den Geflüchteten sind nach UNHCR-Schätzungen 1,85 Millionen Menschen innerhalb der Ukraine vertrieben worden.
Wegen des Krieges wächst auch die Angst vor Versorgungskrisen und Nahrungsmittelknappheit - auch über die Kriegsgebiete hinaus. So ist die Ukraine weltweit der fünftgrößte Weizenlieferant. Viele Länder würden Schwierigkeiten bekommen, sich mit Agrarrohstoffen zu versorgen, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nach einer Videokonferenz mit seinen Amtskollegen aus den G7-Staaten. Dies bedrohe in Teilen der Welt die Versorgung.
EU verhängt Export- und Investitionsverbote
Nach Beratungen der EU-Staats- und Regierungschefs im französischen Versailles einigten sie sich auf ein neues EU-Sanktionspaket. Das sieht neben einem - im Gleichschritt mit den USA geplanten - Importstopp für Luxusgüter vor, die Einfuhr bestimmter Produkte der russischen Eisen- und Stahlindustrie zu untersagen. Damit treffe man einen zentralen Sektor des russischen Wirtschaftssystems und bringe das Land um Ausfuhrerlöse in Milliardenhöhe, teilte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit. Zudem sei ein umfassendes Verbot neuer Investitionen in den gesamten russischen Energiesektor geplant. Die EU will zudem eine halbe Milliarde Euro zusätzlich für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte bereitstellen. Das kündigte EU-Ratschef Charles Michel an.
Den Hoffnungen der Ukraine auf einen raschen EU-Beitritt verpassten die EU-Staats- und Regierungschefs aber einen Dämpfer. Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Kollegen versprachen der Ukraine lediglich, die Bindungen weiter zu stärken und die Partnerschaft zu vertiefen, um sie auf ihrem europäischen Weg zu unterstützen.
Youtube sperrt Kriegs-Leugner
In Russland wächst indes der Druck auf soziale Netzwerke und Medien. Die Generalstaatsanwaltschaft will den Facebook-Konzern Meta als "extremistische Organisation" verbieten lassen. Hintergrund sei eine Entscheidung des US-Konzerns, zu dem auch Dienste wie Instagram und WhatsApp gehören, Aufrufe zur Gewalt gegen russische Truppen in der Ukraine zuzulassen. Facebook selbst ist in Russland bereits seit Tagen nicht mehr aufrufbar. Auch Instagram wird jetzt blockiert. Der Google-Videoservice Youtube sperrt derweil ab sofort Kanäle, in denen der Angriff Russlands auf die Ukraine geleugnet wird. "Unser Gemeinschaftrichtlinien verbieten Inhalte, die gut dokumentierte gewalttätige Ereignisse leugnen, verharmlosen oder trivialisieren", sagte ein Youtube-Sprecher.
Quelle: ntv.de, als/dpa/AFP
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