Donnerstag, 2. Juni 2022

In diesen Kategorien denkt nicht nur der russische Präsident Wladimir Putin, sondern auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. In den letzten Wochen hat er seine Rhetorik gegenüber dem modernen Athen verschärft und der griechischen Regierung vorgeworfen, sie wolle ein «neues Byzanz» aufbauen: das Oströmische Reich, das mit dem Fall von Konstantinopel 1453 verschwand – und den Osmanen Platz machte, die wiederum das imperiale Vorbild Erdogans sind

 

Das Wichtigste zum Krieg in der Ukraine
 
 
Georg Häsler
Redaktor Sicherheitspolitik
Lieber Herr Koch
Der Blick auf das Kampfgeschehen in der Ukraine hat sich zusehends verengt: auf einzelne Ortschaften und Flussübergänge. Der russische Angriff am Boden konzentriert sich zurzeit auf einen kleinen Kartenausschnitt. Zu sehen, was darum herum passiert, braucht unterdessen mehr als den berühmten Schritt zurück. Deshalb dreht sich die Diskussion über mögliche Lageentwicklungen primär um die Lage im Donbass und die Minimalziele des Kremls.
Doch der konventionelle Krieg, der die Ukraine mit aller Härte trifft, ist bloss ein besonders schmerzvolles Symptom einer grundsätzlichen Veränderung: Die Renaissance der Machtpolitik hat Gesetzmässigkeiten reaktiviert, die in Westeuropa bis am 24. Februar 2022 praktisch für entsorgt gehalten wurden. Die regelbasierte Weltordnung wird abgelöst von einem ständigen Balanceakt der Kräfteverhältnisse.
Der attische Historiker Thukydides, eigentlich der erste politische Analytiker der westlichen Welt, versucht in seinem Werk über den Peloponnesischen Krieg (431 bis 404 v. Chr.) die Frage zu ergründen, weshalb Konflikte eskalieren können: «Den wahrsten Grund freilich, zugleich den meistbeschwiegenen, sehe ich im Wachstum Athens, das die erschreckten Spartaner zum Krieg zwang.»
Thukydides’ Gegenstand ist die Auseinandersetzung zwischen Athen, der demokratischen Seemacht des antiken Griechenland, und dem strengen Militärstaat Sparta, das den Kampf schliesslich gewann. Es geht im Kern um eine machtpolitische Spannung, die gelöst werden muss. Reichen diplomatische oder verdeckte Mittel nicht aus, ist der Krieg die letzte Option. Allianzen sind keine fixen Grössen, sondern Teil des eigenen Strebens nach Erfolg.
In diesen Kategorien denkt nicht nur der russische Präsident Wladimir Putin, sondern auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. In den letzten Wochen hat er seine Rhetorik gegenüber dem modernen Athen verschärft und der griechischen Regierung vorgeworfen, sie wolle ein «neues Byzanz» aufbauen: das Oströmische Reich, das mit dem Fall von Konstantinopel 1453 verschwand – und den Osmanen Platz machte, die wiederum das imperiale Vorbild Erdogans sind.
Neben dem gegenwärtigen Kriegstheater auf dem Gebiet des ehemaligen russischen Reichs erhöhen sich die Spannungen im östlichen Mittelmeer. Die Türkei, Ägypten und Israel haben sich einander angenähert, weil sie ein gemeinsames Interesse haben: Sie wollen Europa Erdgas liefern und so von der Auseinandersetzung des Westens mit Russland profitieren.
Ein Frieden um des Friedens willen in der Ukraine bringt die scheinbar so gemütlichen Zeiten der vergangenen Jahrzehnte nicht zurück. Im Gegenteil: Die Kämpfe um einige Quadratkilometer in der Ostukraine sind ein warnender Hinweis an die westlichen Demokratien darauf, wozu die neoimperialen Autokraten unserer Zeit fähig sind. Eine nächste Runde im östlichen Mittelmeer sollte verhindert werde

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