Wahrsager in Anzügen: Wie westliche Politiker den Weltkrieg herbeireden

Bild: Karlis Dambrans / Shutterstock.com
Politiker warnen vor Krieg mit Russland. Tusk sieht 2027 als Krisenjahr. Doch wer profitiert von der Angst? Eine Analyse.
Polens Ministerpräsident Donald Tusk hat sich in die wachsende Reihe europäischer Politiker eingereiht, die mit apokalyptischen Kriegsszenarien hausieren gehen. Seine jüngste Warnung vor einem möglichen "großen Konflikt" mit Russland bereits im Jahr 2027 ist nicht nur unverantwortliche Panikmache – sie ist ein gefährliches Spiel mit den Ängsten der europäischen Bevölkerung.
Die neue Zeitrechnung der Angst: 2027, 2029, 2030
Tusk ist nicht allein mit seinen düsteren Prophezeiungen. Wie der Telepolis-Artikel "2030! 2030! 2030! Krieg! Krieg! Krieg!" dokumentiert, haben sich "in den vergangenen Monaten die Warnungen hochrangiger Politiker und Sicherheitsexperten gemehrt, die für das Ende dieses Jahrzehnts – konkret für 2029 oder 2030 – einen russischen Angriff auf Nato-Gebiet vorhersagen."
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2030! 2030! 2030! Krieg! Krieg! Krieg!
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius spricht von 2029, BND-Chef Bruno Kahl warnt vor 2030, und nun kommt Tusk mit 2027 um die Ecke – als ob es sich um einen perversen Wettbewerb handelt, wer das naheste Kriegsdatum ausrufen kann. Diese Politiker jonglieren mit Jahreszahlen wie Wahrsager mit Kristallkugeln.
Was Tusk und Medwedew gemein haben
Auch in Russland befeuern Hardliner regelmäßig Kriegsängste durch aggressive Rhetorik und apokalyptische Prognosen. Der bekannte Militärblogger Igor Girkin (Strelkow) warnte schon 2022 offen, "spätestens 2027" müsse man sich auf einen großen Krieg mit der Nato einstellen ("Запад планирует удар по России к 2027 году").
Der russische TV-Propagandist Wladimir Solowjow fabulierte mehrfach in seiner Show von einer "unvermeidlichen Konfrontation mit dem Westen", zitierte Militärkreise mit den Worten: "Wir müssen bereit sein, jeden Tag für einen umfassenden Krieg." Auch der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew spricht immer wieder alarmistisch vom "dritten Weltkrieg" und drohte im April 2024, falls die Ukraine Nato-Mitglied werde, sei "ein Atomkonflikt unvermeidlich".
Diese Stimmen werden von Staatsmedien wie Russia Today oder Komsomolskaja Prawda systematisch verbreitet – so schrieb das Blatt im Februar 2024: "Die Nato rüstet auf, um uns bald, vielleicht schon 2027, anzugreifen." Der Militärexperte Jakow Kedmi äußerte im russischen Fernsehen: "Russland steht am Vorabend des größten Konflikts seit 1945." Solche Warnungen schüren gezielt Ressentiments, rechtfertigen massive Militärausgaben und tragen zur Eskalationsspirale zwischen Russland und dem Westen bei.
Unüberprüfbare Behauptungen als politisches Instrument
Das Perfide an Tusks Warnung ist indes ihre völlige Unüberprüfbarkeit. Er beruft sich auf eine angebliche "Einschätzung des neuen Nato-Oberbefehlshabers Alexus Grynkewich", mit dem er "kurz zuvor gesprochen hatte". Welche konkreten Informationen wurden ausgetauscht? Auf welchen Daten basieren diese Einschätzungen? Die Öffentlichkeit erfährt es nicht.
Telepolis hatte bereits kritisch angemerkt, dass sich diese düsteren Prognosen auf "Analysen zur russischen Aufrüstung, strategische Einschätzungen westlicher Nachrichtendienste und die zunehmend aggressive Rhetorik des Kremls" berufern.
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Doch wer kann diese Behauptungen demokratisch und transparent nachprüfen? Niemand. Die Bürger werden mit Schreckensszenarien konfrontiert, deren Grundlagen im undurchdringlichen Nebel geheimdienstlicher Einschätzungen verschwinden.
Die erschreckenden Details der US-Kriegsplanungen
Besonders beunruhigend sind die konkreten Kriegsplanungen, die in US-amerikanischen Militärpublikationen offen diskutiert werden. In Stars and Stripes, der offiziellen Zeitung des US-Militärs, wird nicht etwa über Friedenssicherung gesprochen, sondern über konkrete Angriffsszenarien.
General Grynkewich erklärt dort unverblümt:
Die von den USA angeführte Nato-Allianz muss sich auf die Möglichkeit vorbereiten, dass Russland und China gleichzeitig Kriege in Europa und im Pazifikraum beginnen könnten, wobei 2027 ein potenzielles Krisenjahr ist.
Er spricht davon, dass die Nato sich auf einen Zweifrontenkrieg vorbereiten müsse und warnt: "Wir werden jede Ausrüstung und Munition brauchen, die wir bekommen können, um das zu schaffen."
Diese Aussagen sind keine defensiven Überlegungen – sie lesen sich wie die Vorbereitung auf einen geplanten Konflikt. Grynkewich geht sogar so weit zu behaupten:
Wenn Chinas Präsident Xi Jinping einen Schritt in Richtung Taiwan unternimmt, würde er einen solchen Angriff wahrscheinlich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin koordinieren, was die Möglichkeit eines globalen Konflikts eröffnen würde.
Die EU als willfähriger Juniorpartner
Noch erschreckender ist die Reaktion der EU-Verantwortlichen auf diese Kriegsrhetorik. EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius bestätigt in Washington devot: "Wir Europäer müssen unsere Verteidigungsfähigkeiten ausbauen" und fügt hinzu: "Wir erkennen an, dass ihr Amerikaner langfristig wirklich das Recht und den Grund habt, euch mehr und mehr in Richtung Indopazifik zu verlagern."
Europa soll also aufrüsten, damit die USA ihre Truppen für einen Konflikt mit China abziehen können? Kubilius' Aussage "Wir bereiten uns darauf vor, Verantwortung auf unsere Schultern zu nehmen" klingt weniger nach souveräner Verteidigungspolitik als nach vorauseilendem Gehorsam gegenüber amerikanischen Interessen.
Die Lehren des 20. Jahrhunderts – vergessen und verdrängt
Haben wir wirklich nichts aus der Geschichte gelernt? Die Warnungen vor einem Angriff eines imaginären oder faktischen Gegners haben die angeblich zu vermeidende Kriegsgefahr historisch stets gesteigert, nicht vermindert. Die Julikrise 1914, die Kubakrise 1962, die Able-Archer-Krise 1983 – all diese Beispiele zeigen: Wer ständig den Krieg beschwört und sich darauf vorbereitet, macht ihn wahrscheinlicher.
Auf Telepolis hieß es zu dem Thema:
Die ständige Beschwörung eines großen Krieges birgt auch Risiken. Sie kann zu einem fatalen Wettrüsten führen, Kompromisse erschweren und im schlimmsten Fall zu der Eskalation beitragen, die sie eigentlich verhindern will.
Diese elementare Lehre des 20. Jahrhunderts spielt in der aktuellen Debatte offenbar keine Rolle mehr. Stattdessen erleben wir eine Renaissance der Falken – auf beiden Seiten. Denn vergessen wir nicht: Hardliner, die auf Konfrontation setzen, gibt es nicht nur im Westen, sondern auch in Russland. Beide Seiten verstärken sich gegenseitig in ihrer kriegerischen Rhetorik.
Das 840-Milliarden-Euro-Geschäft mit der Angst
Die finanziellen Dimensionen dieser Kriegshysterie sind atemberaubend. Kubilius spricht von einem "$840 billion framework to 'Re-Arm Europe'", inklusive einer "€150 billion loan facility" für Mitgliedsstaaten. Die Nato-Staaten haben sich verpflichtet, ihre Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des BIP zu erhöhen – eine "historic shift in alliance posture", wie es euphemistisch heißt.
Wer profitiert von dieser gewaltigen Umverteilung öffentlicher Gelder? Die Rüstungsindustrie auf beiden Seiten des Atlantiks. Während Sozialausgaben gekürzt und Klimaschutzmaßnahmen als zu teuer abgelehnt werden, fließen Hunderte Milliarden in Waffensysteme, die hoffentlich niemals zum Einsatz kommen werden.
Die USA als lachender Dritter
Während Europa sich in Kriegsangst verstrickt und seine Wirtschaft mit Rüstungsausgaben belastet, sitzen die USA geografisch sicher jenseits des Atlantiks. Wie der Fox News-Artikel deutlich macht, bereiten sich die USA darauf vor, ihre Truppen aus Europa abzuziehen:
As of 2025, more than 80,000 U.S. troops are stationed in Europe – a presence widely expected to decline in the coming years.
Gleichzeitig machen amerikanische Rüstungskonzerne glänzende Geschäfte. Trump verkündet scheinheilig: "We're going to be sending Patriots to Nato and then Nato will distribute that" – natürlich nur, wenn die Europäer dafür bezahlen. Die USA liefern die Waffen, Europa zahlt die Rechnung und trägt das Risiko eines Konflikts vor der eigenen Haustür.
Das perfide Spiel mit der Angst
Tusk und andere spielen mit den Urängsten der Menschen in Europa. Bei einer "Bürgerversammlung in der Stadt Pabianice" verkündet er seine Kriegswarnung – nicht etwa in einem vertraulichen Sicherheitsgremium, sondern vor verängstigten Bürgern. Dieses Vorgehen unterscheidet sich in nichts von dem Gebaren von Verschwörungstheoretikern und populistischen Akteuren, die ebenfalls politisches oder finanzielles Kapital aus der Angst der Menschen schlagen.
Die polnische Regierung werde "die kommenden zwei Jahre maximal nutzen, um die Lage in Polen zu stabilisieren und Sicherheit zu gewährleisten", erklärt Tusk. Was bedeutet das konkret? Mehr Überwachung? Einschränkung von Bürgerrechten? Massive Aufrüstung? Die Angst vor dem Krieg wird zum Instrument innenpolitischer Machtausweitung.
Die Gefahr der selbsterfüllenden Prophezeiung
Selbst der zitierte Sicherheitsexperte Carlo Masala warnt davor, "dass sich der Zeitpunkt eines russischen Angriffs so exakt vorhersagen lässt." Er hält "begrenzte Provokationen für wahrscheinlicher als einen großflächigen Krieg" und mahnt, dass die ständige Kriegsrhetorik "auch politisch instrumentalisiert werden könnte."
Telepolis betonte: "Deshalb ist bei allen Prognosen und Warnungen auch Vorsicht geboten – damit düstere Zukunftsszenarien nicht am Ende zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden."
Die absurde Logik der Eskalation
Die Logik der Kriegspropheten ist absurd: Russland rüstet auf, also müssen wir aufrüsten. Wir rüsten auf, also muss Russland weiter aufrüsten. Die russische Zeitung Komsomolskaja Prawda dreht die Darstellung bereits um und "unterstellte der Nato, 2027 Russland angreifen zu wollen." So entsteht eine Spirale gegenseitiger Bedrohungswahrnehmungen, die nur in einer Katastrophe enden kann.
Zeit für eine andere Politik
Es ist höchste Zeit, dass die Kriegstreiber auf beiden Seiten isoliert werden. Europa braucht keine Propheten des Untergangs, sondern Politiker, die auf Entspannung, Dialog und friedliche Konfliktlösung setzen. Die Alternative ist düster: Wenn sich der aktuelle Kurs nicht ändert, wird sich die Geschichte wiederholen – mit all ihren katastrophalen Konsequen
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