Sonntag, 8. Mai 2022

utschland könnte eigenes Erdgas fördern, um russische Energieimporte zu ersetzen. Die umstrittene Methode heißt Fracking. Befürworter sehen in ihr den Heilsbringer für die Energiewirtschaft. Kritiker sprechen hingegen von einer Umweltsünde. Wer hat recht?

 racking für die Unabhängigkeit?

In Deutschland schlummern Gasvorräte

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In den USA boomt Fracking nach wie vor. Allerdings regt sich in Teilen der Bevölkerung zunehmend Widerstand gegen die Gasgewinnungstechnologie.

(Foto: REUTERS)



eutschland könnte eigenes Erdgas fördern, um russische Energieimporte zu ersetzen. Die umstrittene Methode heißt Fracking. Befürworter sehen in ihr den Heilsbringer für die Energiewirtschaft. Kritiker sprechen hingegen von einer Umweltsünde. Wer hat recht?

Jeden Tag fließt russisches Gas in rauen Mengen nach Deutschland. Gleichzeitig morden und vergewaltigen Truppen von Präsident Wladimir Putin in der Ukraine. Das Gebot der Stunde lautet daher: ein Ende der Finanzierung des Kriegstreibers. Die Bundesregierung will sich unabhängig von Energie-Importen aus Russland machen. Alternativen zu finden, gestaltet sich jedoch schwierig. Inzwischen steht nicht nur der Ausstieg aus Kernenergie und Kohle neu zur Debatte, auch über Fracking wird wieder diskutiert. Denn tatsächlich gibt es in Deutschland nennenswerte Vorkommen an gashaltigem Gestein. Welchen Preis die Gasgewinnung hätte, darüber sind sich Experten uneinig.

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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schlug zuletzt vor, die umstrittene Frackingtechnologie in Deutschland "ergebnisoffen" zu prüfen. "Die Amerikaner haben sich durch Fracking vom Nahen Osten völlig unabhängig gemacht", sagte der CSU-Chef den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Warum also nicht auch Deutschland?

"Hydraulic Fracturing", kurz "Fracking", ist hierzulande dabei nichts Neues. Aus Sandstein wird bereits seit den 60er-Jahren Erdgas gewonnen - durch sogenanntes konventionelles Fracking. "Den Förder-Höhepunkt von konventionellem Erdgas hatten wir 1996 mit 24 Milliarden Kubikmetern pro Jahr", erklärt Fracking-Experte Werner Zittel im Gespräch mit ntv.de. Allerdings ging der Ertrag rasch zurück. "2011 war die Förderung halbiert. Heute werden nur noch etwa fünf Milliarden Kubikmeter jährlich gewonnen, was ungefähr fünf Prozent unseres Verbrauchs entspricht", sagt der Energiewissenschaftler. Die Lagerstätten sind so gut wie erschöpft.

Fracken statt Importieren

Doch auch in Schiefer ist Gas enthalten - allerdings nicht in Bayern. Vor allem unter Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen schlummern diese sogenannten unkonventionellen Erdgaslagerstätten. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) schätzt, dass die "technisch förderbaren Schiefergasressourcen in einer Tiefenlage von 1000 bis 5000 Metern zwischen 320 und 2030 Milliarden Kubikmeter" betragen. Der deutsche Jahresverbrauch an Erdgas beträgt derzeit etwa 90 Milliarden Kubikmeter. 55 Prozent davon kommen bislang aus Russland.

"Die Hälfte der Importe aus Russland ließen sich durch heimisches Gas ersetzen", sagt Hans-Joachim Kümpel, ehemaliger Präsident der BGR und Mitglied der deutschen Akademie der Technikwissenschaften dem "Spiegel". Doch kaum eine Fördertechnik ist so umstritten wie das Fracking. Laut Umweltbundesamt (UBA) kann "die Frackingtechnologie zu Verunreinigungen im Grundwasser führen". 2017 wurde das unkonventionelle Fracking aufgrund der fehlenden Erfahrungen und Kenntnisse in Deutschland verboten.

Verunreinigtes Grundwasser und Erdbeben

Beim Fracking wird das tief in der Erde liegende Gestein aufgebrochen. Über Bohrungen wird mit hohem hydraulischem Druck eine Flüssigkeit eingepresst, um Risse im Gestein zu erzeugen oder bestehende Risse zu weiten. Damit das Gemisch aus Sand und Wasser im Untergrund stabil funktioniert, müssen Chemikalien beigemischt werden. Sie sind teilweise krebserregend und giftig. "Wenn das Fracking nun nicht sehr gut kontrolliert wird, kann es sein, dass diese Gifte durch Risse im Gestein auch in höhergelegene Trinkwasserschichten gelangen", sagt Experte Zittel. Zudem seien Kosten und der technische Aufwand enorm hoch. Große Flächen werden benötigt. "In dicht besiedelten Gegenden wird es ohne Ende Proteste von den Einwohnern geben", so der Energiewissenschaftler. "Die Gegenden, wo in den USA breitflächig gefrackt wird, sind verwüstet."

Mögliche Fracking-Gebiete in Deutschland (Quelle: BGR).

Mögliche Fracking-Gebiete in Deutschland (Quelle: BGR)

(Foto: BGR/Digitales Geländemodell: © GeoBasis-DE/BKG 2015, Daten verändert)

Toxikologen und Geologen sehen auch noch ein weiteres Problem: Das Wasser strömt am Ende wieder durch das Bohrloch nach oben. Dabei werden auch im Gestein vorhandene Gifte herausgelöst: Arsen, Brom, radioaktives Strontium. Das Aufsprengen des Gesteins in der Tiefe kann zudem zu Erdbeben führen. In den Niederlanden verursacht Fracking immer häufiger und immer heftigere Erdbeben - mit schweren Häuserschäden als Folge. Bewohner im Fördergebiet in der Provinz Groningen seien durch Stress und durch Einsturzrisiko ihrer Häuser gefährdet, warnt die Aufsichtsbehörde SodM. In Großbritannien wurde das Fracking 2019 wegen eines möglicherweise steigenden Erdbebenrisikos in den nordenglischen Fördergebieten gestoppt.

Werden die Gefahren überschätzt?

Ex-BGR-Präsident Kümpel hält die Einwände gegen das unkonventionelle Fracking für übertrieben. Die Risiken der Technologie für Mensch und Umwelt würden überschätzt, schreibt er im Vorwort zur Studie "Schieferöl und Schiefergas in Deutschland".

Auch Mohammed Amro hält Fracking in Deutschland für machbar und nützlich. "Es gibt bestimmte Limitationen für diese Methode, zum Beispiel die Tiefe", sagte der Direktor des Instituts für Bohrtechnik und Fluidbergbau an der TU Bergakademie Freiberg gegenüber dem MDR. "Ich sage immer: Tiefer als 1000 Meter darf man ein 'Frac' planen. Aber nicht in geringeren Tiefen. In der USA hat man bei 600 Meter gefrackt. Und da gab es Umweltschäden." Amro ist überzeugt, dass 20 Prozent des Eigenbedarfs an Erdgas durch unkonventionelles Fracking über mehrere Jahrzehnte gedeckt werden könnten.

Klimaschäden durch Methan-Lecks

Energiewissenschaftler Zittel überzeugen diese Argumente nicht. "Selbst wenn wir Fracking sehr intensiv betreiben würden, würde es gerade einmal zwei bis drei Prozent des Bedarfs decken", ist sich der Experte sicher. Aber auch nur, wenn man immer neue Bohrungen monatlich einbringe, so Zittel. "Die Förderung würde auch bei dieser Methode nur schwer über einen langen Zeitraum aufrechtzuerhalten sein."

Kritiker wie Zittel befürchten, dass zusätzliche Frackingvorhaben den Klimawandel weiter verschärfen werden. Erdgas besteht größtenteils aus Methan. Methan selbst ist ein hochpotentes Treibhausgas, das laut Weltklimarat auf 100 Jahre eine fast 30-mal höhere Klimawirkung hat als Kohlendioxid. Seit 2008 beobachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit einen zusätzlichen Anstieg des Methangehalts in der Atmosphäre. Mehrere Studien kamen zu dem Schluss, dass dies unter anderem auf das Fracking in den USA zurückzuführen ist. Gas kann durch die künstlich erzeugten Risse im Gestein an die Erdoberfläche steigen und in die Atmosphäre gelangen.

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Konventionelle und unkonventionelle Erdgaslagerstätten.

(Foto: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR))

So sei 2018 in Ohio durch den hohen Druck beim Fracken die Zementierung geplatzt, erzählt Zittel. "Drei Wochen lang strömte das Gas ungehindert in die Atmosphäre." Das Leck in Ohio setzte mehr Methan frei als die gemeldeten Emissionen der Öl- und Gasindustrie in Ländern wie Norwegen und Frankreich, schätzen US-Forscher. "Die Auswirkungen auf die Umwelt sind enorm, wenn etwas beim Fracking schiefgeht", sagt Zittel. Und es gehe immer öfter etwas schief. Beispielsweise platze die Zementierung umso eher, je öfter dieselbe Bohrung gefrackt wird. Heute werde eine Bohrung in den USA mehr als hundertmal gefrackt, um überhaupt noch relevante Gasmengen entnehmen zu können, sagt der Experte. "Das Fracking findet dabei im horizontalen Bereich der Bohrung innerhalb der Tonschieferschicht statt, die Zementierung platzt im senkrechten Bereich, wo sie zum Beispiel gegen den Kontakt mit Grundwasser absichern soll."

Eine Studie der US-amerikanischen Cornell-Universität von 2019 kommt zu dem Ergebnis, dass die Schiefergas- und -ölförderung für rund 33 Prozent des gesamten weltweiten Anstiegs an Methanemissionen in den vorangegangenen zehn Jahren verantwortlich ist. Zwischen zwei und acht Prozent des geförderten Erdgases soll bei Frackingprojekten ungenutzt in die Atmosphäre entweichen.

Erneuerbare Energien sind die Zukunft

Fest steht aber auch: Die Energiewirtschaft muss umgebaut werden. "Weiter auf fossile Brennstoffe zu setzen, ist dabei der falsche Weg", sagt Zittel. "Wenn eh Geld ausgegeben werden muss, ist es sinnvoller, in zukunftsfähige Technologien zu investieren." Stichwort: erneuerbare Energien. Das sei die beste Möglichkeit, sich von ausländischen Importen zu lösen und zunehmend Energie aus heimischen Quellen zu gewinnen.

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck lehnt Fracking in Deutschland ab. Er verweist auf die möglichen negativen Folgen für die Umwelt. Außerdem würde es "Jahre dauern, neue Förderungen hochzuziehen und die Genehmigungsverfahren hinzubekommen". Die konventionellen Förderfelder in Deutschland seien "weitestgehend ausgeschöpft", fügte der Vizekanzler hinzu. "Es würde helfen, die Produktion kurzfristig zu steigern - mit der Konsequenz, dass man am Ende früher aussteigt. Unsere Probleme können wir dadurch aber nicht lösen."

Als kurzfristiges Mittel der Wahl, um die Abhängigkeit Deutschlands vom ausländischen Erdgas zu reduzieren, taugt Fracking nicht. Deutschland müsste in Sachen unkonventionelles Fracking quasi bei null anfangen, da es bislang weder die nötige Erfahrung noch Infrastruktur dafür hat. Somit würde es sicherlich mehrere Jahre dauern, bis mit dieser Methode tatsächlich Erdgas gewonnen werden könnte, mit unabsehbaren Umwelt-Auswirkungen - und viel zu spät, um eine akute Notlage zu lindern.

Quelle: ntv.de

Samstag, 7. Mai 2022

New Great Game: Can Venezuela Negotiate an End to Deadly US Sanctions? Now that Russia’s moves in Eastern Europe have re-ignited the ‘Great Game’ of a previous era, Venezuela, Cuba and others, though thousands of miles away, are finding themselves at the heart of the budding new Great Game.

 https://venezuelanalysis.com/analysis/15488


New Great Game: Can Venezuela Negotiate an End to Deadly US Sanctions?

Now that Russia’s moves in Eastern Europe have re-ignited the ‘Great Game’ of a previous era, Venezuela, Cuba and others, though thousands of miles away, are finding themselves at the heart of the budding new Great Game.

Gas prices are seen in front of a billboard advertising HBO’s "Last Week Tonight" in Los Angeles, March 7, 2022. (Jae C. Hong / AP)

Gas prices are seen in front of a billboard advertising HBO’s "Last Week Tonight" in Los Angeles, March 7, 2022. (Jae C. Hong / AP)

How the tables have turned. A high-level US delegation visited Venezuela on March 5, hoping to repair economic ties with Caracas. Venezuela, one of the world’s poorest countries partly due to US-Western sanctions is, for once, in the driving seat, capable of alleviating an impending US energy crisis if dialogue with Washington continues to move forward.

Technically, Venezuela is not a poor country. In 1998, it was one of the leading OPEC members, producing 3.5 million barrels of oil a day (bpd). Though Caracas largely failed to take advantage of its former oil boom by diversifying its oil-dependent economy, it was the combination of lower oil prices and US-led sanctions that pushed the once relatively thriving South American country down to its knees.

In December 2018, former US President Donald Trump imposed severe sanctions on Venezuela, cutting off oil imports from the country. Though Caracas provided the US with about 200,000 bpd, the US managed to quickly replace Venezuelan oil as crude oil prices reached as low as $40 per barrel.

Indeed, the timing of Trump’s move was meant to ravage, if not entirely destroy, the Venezuelan economy in order to exact political concessions, or worse. The decision to further choke off Venezuela in December of that year was perfectly timed as the global oil crisis had reached its zenith in November.

Venezuela was already struggling with US-led sanctions, regional isolation, political instability, hyperinflation and, subsequently, extreme poverty. The US government’s move, then, was meant to be the final push that surely, as many US Republicans and some Democrats concluded, would end the reign of Venezuelan President Nicolas Maduro.

Venezuela has long accused the US of pursuing a regime change in Caracas, based on allegations that the socialist Maduro government had won the 2018 elections through fraud. And, just like that, it was determined that Juan Guaidò, then Venezuela’s opposition leader and president of the National Assemblyshould be installed as the country’s new president.

Since then, US foreign policy in South America centered largely on isolating Venezuela and, by extension, weakening the socialist governments in Cuba and elsewhere. In 2017, for example, the US had evacuated its embassy in the Cuban capital, Havana, claiming that its staff was being targeted by “sonic attacks” – a supposed high-frequency microwave radiation. Though such claims were never substantiated, they allowed Washington to walk back on the positive diplomatic gestures towards Cuba that were carried out by the Barack Obama administration, starting in 2016.

For years, Venezuela’s inflation continued to worsen, reaching 686.4 percent last year, according to statistics provided by Bloomberg. As a result, the majority of Venezuelans continue to live below the extreme poverty line.

The government in Caracas, however, somehow survived for reasons that differ, depending on the political position of the analysts. In Venezuela, much credence is being given to the country’s socialist values, the resilience of the people and to the Bolivarian movement. The anti-Maduro forces in the US, centered mostly in Florida, blame Maduro’s survival on Washington’s lack of resolve. A third factor, which is often overlooked, is Russia.

In 2019, Russia sent hundreds of military specialists, technicians and soldiers to Caracas under various official explanations. The presence of the Russian military helped ease fears that pro-Washington forces in Venezuela were preparing a military coup. Equally important, Russia’s strong trade ties, loans and more, were instrumental in helping Venezuela escape complete bankruptcy and circumvent some of the US sanctions.

Despite the collapse of the Soviet Union decades ago, Russia remained largely committed to the USSR’s geopolitical legacy. Moscow’s strong relations with socialist nations in South America are a testament to such a fact. The US, on the other hand, has done little to redefine its troubled relationships with South America as if little has changed since the time of the hegemonic Monroe Doctrine of 1823.

Now, it seems that the US is about to pay for its past miscalculations. Unsurprisingly, the pro-Russia bloc in South America is expressing strong solidarity with Moscow following the latter’s intervention in Ukraine and the subsequent US and Western sanctions. Wary of the developing energy crisis and the danger of having Russian allies within a largely US-dominated region, Washington is attempting, though clumsily, to reverse some of its previous missteps. On March 3, Washington decided to re-open its Havana embassy and two days later, a US delegation arrived in Venezuela.

Now that Russia’s moves in Eastern Europe have re-ignited the ‘Great Game’ of a previous era, Venezuela, Cuba and others, though thousands of miles away, are finding themselves at the heart of the budding new Great Game. Though some in Washington are willing to reconsider their long-standing policy against the socialist bloc of South America, the US mission is rife with obstacles. Oddly, the biggest stumbling block on the US path towards South America is neither Caracas, Havana or even Moscow, but the powerful and influential lobbies and pressure groups in Washington and Florida.

A Republican Senator, Rick Scott from Illinois, was quoted in Politico as saying “the only thing the Biden admin should be discussing with Maduro is the time of his resignation.” While Scott’s views are shared by many top US officials, US politics this time around may have little impact on their country’s foreign policy. For once, the Venezuelan government has the stage.

Feature photo | Gas prices are seen in front of a billboard advertising HBO’s Last Week Tonight in Los Angeles, March 7, 2022. Jae C. Hong | AP

Dr. Ramzy Baroud is a journalist and the Editor of The Palestine Chronicle. He is the author of six books. His latest book, co-edited with Ilan Pappé, is “Our Vision for Liberation: Engaged Palestinian Leaders and Intellectuals Speak out”. Baroud is a Non-resident Senior Research Fellow at the Center for Islam and Global Affairs (CIGA). His website is www.ramzybaroud.net

The views expressed in this article are the author's own and do not necessarily reflect those of the Venezuelanalysis editorial staf

Freitag, 6. Mai 2022

CDU-Chef Merz sieht im Ukraine-Krieg eine Chance für eine Neuausrichtung deutscher und europäischer Sicherheitspolitik. Man müsse sich vor allem mit Blick auf die Verteidigungsfähigkeit unabhängiger von den USA machen. Insbesondere bei Atomwaffen brauche es neue Partnerschaften.

 "Quantensprung" durch Krieg?

Merz fordert Unabhängigkeit von US-Atomwaffen

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Deutschland dürfe nicht "wieder überrascht werden von den Ereignissen der Weltpolitik" , warnt CDU-Chef Merz.

(Foto: IMAGO/Revierfoto)



CDU-Chef Merz sieht im Ukraine-Krieg eine Chance für eine Neuausrichtung deutscher und europäischer Sicherheitspolitik. Man müsse sich vor allem mit Blick auf die Verteidigungsfähigkeit unabhängiger von den USA machen. Insbesondere bei Atomwaffen brauche es neue Partnerschaften.

Die bisherige deutsche Globalisierungsstrategie kommt nach Ansicht von CDU-Chef Friedrich Merz an ihr Ende. "Billige Produkte importieren, teure Produkte exportieren, mit billigem russischem Gas produzieren und unsere Sicherheit in großen Teilen den Amerikanern zu überlassen - das funktioniert so nicht mehr", sagte Merz der "Rheinischen Post". Die Zeit sei gekommen, dass man sich in Deutschland und in Europa so aufstelle, dass man insgesamt unabhängiger, eigenständiger und widerstandsfähiger werde.

"Dieser Krieg könnte ein Quantensprung in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sein - mit eigenen, integrierten Streitkräften, die wir dann auch einsetzen können." Noch verlasse man sich zum Beispiel bei der atomaren Abschreckung auf die Amerikaner. "Aber was tun wir, wenn der nächste amerikanische Präsident diese Sicherheitsgarantie nicht erneuert? Wären wir dann bereit, mit Frankreich eine neue strategische Partnerschaft einzugehen? Darüber muss jetzt gesprochen und verhandelt werden, damit wir in einigen Jahren nicht schon wieder überrascht werden von den Ereignissen der Weltpolitik."

Der Oppositionsführer kritisierte die Ampel-Regierung für seiner Meinung nach uneindeutige Aussagen zur Finanzausstattung der Bundeswehr. "Wir erwarten von der Koalition, dass sie einfach nur das tut, was der Bundeskanzler am 27. Februar gesagt hat, nämlich, mehr als zwei Prozent unseres Bruttoinlandproduktes ab sofort dauerhaft pro Jahr in unsere Verteidigung zu investieren." Merz kritisierte, nach der Regierungserklärung sei es merkwürdig still geworden um das Zwei-Prozent-Ziel.

Quelle: ntv.de, mra/dpa

Mittwoch, 4. Mai 2022

Wer die europäische Friedensordnung angreift, das Völkerrecht mit Füßen tritt und massive Kriegsverbrechen begeht, darf nicht als Sieger vom Feld gehen.

 

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Alice Schwarzer © dpa

Vor knapp einer Woche verfassten 28 Intellektuelle und Künstler um Alice Schwarzer einen Offenen Brief an Kanzler Scholz, der in der „Emma“ publiziert wurde. Darin warnten sie vor der weiteren Lieferung schwerer Waffen und dem Ausbruch eines Dritten Weltkrieges:

 Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte sodann den Beistandsfall nach dem Nato-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen. “

 Die unter Druck stattfindende, eskalierende Aufrüstung könnte der Beginn einer weltweiten Rüstungsspirale mit katastrophalen Konsequenzen sein, nicht zuletzt auch für die globale Gesundheit und den Klimawandel. “

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Ralf Fücks © Anne Hufnagl

Ebenfalls in einem Offenen Brief an den Kanzler widersprechen nun andere, nicht minder namhafte Intellektuelle, Autoren und Wissenschaftler. Der Aufruf wurde vom Zentrum Liberale Moderne um die Grünen-Politikerin Marieluise Beck und den Publizisten Ralf Fücks initiiert. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem Wolfgang Ischinger (Ex-Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz), die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, der Schriftsteller Daniel Kehlmann sowie Mathias Döpfner, CEO und Miteigentümer der Axel Springer SE, welche wiederum mit 36 Prozent an Media Pioneer beteiligt ist.

In ihrem Brief stellen die Unterzeichner klar, dass derjenige, der einen „Verhandlungsfrieden will, der nicht auf die Unterwerfung der Ukraine unter die russischen Forderungen hinausläuft”, die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine stärken und die Kriegsfähigkeit Russlands „maximal schwächen” muss. Und weiter:

 Das erfordert die kontinuierliche Lieferung von Waffen und Munition, um die militärischen Kräfteverhältnisse zugunsten der Ukraine zu wenden. “

Das Fazit dieses Briefes:

 Wer die europäische Friedensordnung angreift, das Völkerrecht mit Füßen tritt und massive Kriegsverbrechen begeht, darf nicht als Sieger vom Feld gehen.

Damit ist alles gesagt – aber noch nicht von allen. Ihre Stimme fehlt. Schreiben Sie mir: Wofür stehen Sie – und warum? g.steingart@mediapioneer.com

uf der Internetseite Nukemap des Wissenschaftshistorikers Alex Wellerstein können die Auswirkungen von Atombomben verschiedener Größen überall auf der Welt simuliert werden, inklusive des von Fallout betroffenen Gebiets.

 Risiko für eigene Reihen

Was Russland von einem Atomschlag abhalten könnte

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Taktische Atomwaffen können etwa mit Kurzstreckenraketen oder Marschflugkörpern des russischen Iskander-Systems verschossen werden - die Reichweite beträgt bis zu 600 Kilometer.

(Foto: picture alliance / dpa)



Der Ukrainekrieg läuft offenbar anders als von Russland geplant. Befürchtungen werden laut, Moskau könne taktische Atomwaffen einsetzen, um einen Sieg zu erzwingen. Doch neben politischen Konsequenzen gibt es einen weiteren Faktor, der den Einsatz solcher Waffen riskant macht.

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist die Furcht vor einem Atomkrieg zurück. Bereits mehrfach hat die russische Führung ihre Fähigkeit zu nuklearen Schlägen ins Spiel gebracht. Auch im russischen Staatsfernsehen wird regelmäßig über den Einsatz von Atomwaffen gegen westliche Staaten fabuliert. Die Wahrscheinlichkeit für den Einsatz nuklearer Waffen wird von Experten zwar als gering eingeschätzt. Es gibt jedoch auch die Befürchtung, dass Russland kleinere Atombomben einsetzen könnte, um eine Niederlage in der Ukraine zu verhindern - oder um Kiew zur Kapitulation zu zwingen.

Die Rede ist von sogenannten taktischen Atomwaffen. Im Gegensatz zu strategischen Atomwaffen, die über eine große Distanz eingesetzt werden und mit ihrer hohen Sprengkraft Millionenstädte auslöschen können, besitzen taktische Kernwaffen meist eine geringere Sprengkraft und sind für den Einsatz auf dem Schlachtfeld konzipiert. Sie sollen etwa gegnerische Verbände dezimieren, um den eigenen Truppen einen Vorteil zu verschaffen. Russland kann auf ein gewaltiges Arsenal von derartigen Sprengköpfen mit geringer oder variabler Sprengkraft zurückgreifen, von denen es etwa 2000 besitzt.

Aber selbst diese "kleinen" Atombomben sind in ihrer Wirkung verheerend. Die taktischen Atomwaffen Russlands besitzen eine Sprengkraft von etwa 10 bis 100 Kilotonnen. Und mit Kilotonne ist die entsprechende Menge des Sprengstoffs TNT gemeint - also 10.000 bis 100.000 Tonnen davon. Zum Vergleich: Die gewaltige Ammoniumnitrat-Explosion 2020 in der libanesischen Hauptstadt Beirut entsprach etwa 1100 Tonnen TNTDie Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von fast 13.000 Tonnen - etwa 146.000 Tote waren die Folge.

Gewaltiges Gebiet verseucht

Der Einsatz einer taktischen Atombombe könnte also schwere Schäden auf ukrainischer Seite verursachen. Doch auch für Russland birgt er ein Risiko - abgesehen von den politischen Konsequenzen. Eine Auswirkung wären unmittelbar spürbar: Gemeint ist Fallout.

Wird eine Atomwaffe nah über dem Boden gezündet, werden Asche und Staub in die Atmosphäre gesogen, wo sie sich im Atompilz mit radioaktiven Spaltprodukten der Bombe vermischen. Es entsteht strahlender Staub, der aus dem Stamm und dem Kopf der Pilzwolke wieder auf die Erde sinkt, man spricht von lokalem Fallout. Wind kann diesen über ein Gebiet von mehreren 1000 Quadratkilometern nahe der eigentlichen Explosion verteilen - welcher Bereich betroffen ist, hängt von Windrichtung und -stärke ab. Auf der Internetseite Nukemap des Wissenschaftshistorikers Alex Wellerstein können die Auswirkungen von Atombomben verschiedener Größen überall auf der Welt simuliert werden, inklusive des von Fallout betroffenen Gebiets.

Durch seine hohe Strahlungsintensität kann Fallout tödlich sein. Laut Nukemap hätte der Fallout einer taktischen Atomwaffe mit einer Sprengkraft von 50 Kilotonnen selbst bei mäßigem Wind noch in mehr als sieben Kilometern Entfernung vom Explosionsort tödliche Wirkung für alle, die sich im Freien aufhalten. Und noch in 50 Kilometern Entfernung droht eine krankmachende Dosis. Die Strahlungsdosis ist vor allem zu Beginn stark, nimmt in den folgenden Stunden jedoch schnell ab. Gebäude bieten guten Schutz vor Fallout - im Keller eines mehrgeschossigen Hauses ist die Gefahr relativ gering. Soldaten, die im Freien kampieren, wären jedoch vergleichsweise ungeschützt.

Im ungünstigen Fall könnte Russland durch den Einsatz von taktischen Atomwaffen also eigene Truppen oder die eigene Zivilbevölkerung gefährden - beziehungsweise die Bewohnter in der Ostukraine, die es nach eigenen Angaben ja "befreien" will. "Die Vorhersage von Folgen eines Einsatzes hängt von Sprengkraft, dem Einsatzort und den Wetterbedingungen wie der Windrichtung ab", erklärt Anne Balzer von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) ntv.de. "Es ist anzunehmen, dass Russland keine Atomwaffe so einsetzt, dass die eigene Bevölkerung unmittelbar betroffen wäre." Dieses Risiko bestünde jedoch bei einem Einsatz im Donbass oder dem südlichem Teil der Ukraine.

"Fallout kann Grenzen überschreiten"

Aber auch ein Atomschlag in anderen Regionen der Ukraine birgt Risiken: Bei einem Einsatz einer 100-Kilotonnen-Bombe über Kiew würde der radioaktive Niederschlag zwar nicht bis an die russische Grenze reichen, je nach Wind- und Wetterbedingungen aber durchaus Auswirkungen auf Belarus haben, so Balzer. "Der Einsatz der gleichen Bombe über Charkiw hätte voraussichtlich Auswirkungen bis auf russisches Territorium und die dortige Bevölkerung." Auch Patricia Lewis, Leiterin des Programms für internationale Sicherheit bei der Denkfabrik Chatham House, warnte gegenüber der BBC: "Fallout kann Grenzen überschreiten."

Könnte die Gefahr des Fallouts Russland davon abhalten, taktische Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen? Das ist schwer zu sagen. "Klar ist, dass jeder Einsatz einer Atomwaffe gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt und die Umwelt für Generationen verseucht", betont Balzer. "Die Sowjetunion hat während der Entwicklung des Atomwaffenarsenals Tests auf dem damaligen Staatsterritorium unter anderem rund um Semipalatinsk im heutigen Kasachstan durchgeführt und noch heute leidet die Bevölkerung unter den Folgen der Tests."

Und da wären auch noch die politischen Risiken eines Atomwaffen-Einsatzes. "Wenn die russische Regierung tatsächlich eine Atomwaffe in der Ukraine einsetzen würde, würde dieser Schritt höchstwahrscheinlich einen Atomkrieg auslösen, dessen Folgen undenkbar sind", warnt Balzer. Es sei zwar zu hoffen, dass die USA nicht auf den Einsatz einer einzigen Atomwaffe ihrerseits mit einem atomaren Gegenschlag reagieren würde. Aber Simulationen in der Vergangenheit hätten gezeigt, dass es meistens zu einem ersten Austausch kommt, gefolgt von dem Einsatz aller strategischen Atomwaffen.

Quelle: ntv.de

Montag, 2. Mai 2022

Vorlage beim Bundesverfassungsgericht Das Finanzgericht Niedersachsen hat kürzlich dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Vorschriften zur Abgeltungsteuer mit dem Grundgesetz vereinbar sind (Beschluss vom 18.03.2022, 7 K 120/21). Der Beschluss selbst ist noch nicht veröffentlicht. Das Finanzgericht vertritt die Auffassung, dass ein möglicherweise vormals gegebenes strukturelles Vollzugsdefizit als Grund für die Einführung der Abgeltungsteuer mit den zwischenzeitlich eingeführten Möglichkeiten der Informationsbeschaffung bei Auslandsvermögen entfallen sei. Die Abgeltungsteuer sei zudem weder zur Standortförderung des deutschen Finanzplatzes geeignet noch führe sie zu einer wesentlichen Vereinfachung im Besteuerungsverfahren.

 https://www.roedl.de/themen/abgeltungssteuer-abschaffen-steuer-kapitalertraege


Die Abgeltungsteuer: Eine Zwickmühle für die Politik; eine Aufgabe für das Bundesverfassungsgericht

zuletzt aktualisiert am 28. April 2022

 

Die Abschaffung der Abgeltungsteuer ist ein umkämpftes Thema in der Politik. Welche Alternativen zu den aktuellen Regelungen werden diskutiert?

      

Ein aktuelles Verfahren beim Bundesverfassungsgericht lässt aufhorchen. Es geht um die Frage, ob die Abgeltungsteuer mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Bereits im Jahr 2017 hatte der Bundesrat den Vorstoß des Landes Brandenburg, die Abschaffung der Abgeltungsteuer voranzutreiben, abgelehnt. Zuvor stimmte der Finanzausschuss im Bundesrat Ende Februar 2017 der Initiative, die Kapitaleinkünfte wieder dem persönlichen Einkommensteuersatz zu unterwerfen, zu. Die Rede war von Überprivilegierung von Kapitaleinkünften, von der Beteiligung der Bezieher hoher Kapitaleinkünfte am Gemeinwohl. Der damalige Finanzminister Schäuble wiederum wollte an der Abgeltungsteuer festhalten, dachte jedoch über eine Modifizierung der Regelungen nach. Aktuell unterliegen Einkünfte aus Kapitalvermögen der anonymen und abgeltenden Steuer höchstens mit 25 Prozent. Der normale progressive Steuersatz für alle anderen Einkunftsarten steigt bis zu 42 Prozent bzw. 45 Prozent bei sehr hohen Einkommen an.

Die Abschaffung der Abgeltungsteuer ist immer wieder Thema in der Politik, zuletzt von den Grünen und der SPD. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Ampelregierung ist von davon keine Rede. Doch ein aktuelles Urteil des Finanzgerichts Niedersachsen könnte dieses Thema wieder vorantreiben. 

  • Vorlage beim Bundesverfassungsgericht »

  • Steuerpolitische Überlegungen »

  • Effektive Steuerbelastung beachten »

  • Steuerliche Vorbelastung von Kapitalerträgen »

     

Vorlage beim Bundesverfassungsgericht

Das Finanzgericht Niedersachsen hat kürzlich dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Vorschriften  zur Abgeltungsteuer mit dem Grundgesetz vereinbar sind (Beschluss vom 18.03.2022, 7 K 120/21). Der Beschluss selbst ist noch nicht veröffentlicht. Das Finanzgericht vertritt die Auffassung, dass ein möglicherweise vormals gegebenes strukturelles Vollzugsdefizit als Grund für die Einführung der Abgeltungsteuer mit den zwischenzeitlich eingeführten Möglichkeiten der Informationsbeschaffung bei Auslandsvermögen entfallen sei. Die Abgeltungsteuer sei zudem weder zur Standortförderung des deutschen Finanzplatzes geeignet noch führe sie zu einer wesentlichen Vereinfachung im Besteuerungsverfahren. 

Steuerpolitische Überlegungen

Diese Vorlage beim Bundesverfassungsgericht dürfte die Überlegungen zur Abschaffung der Abgeltungsteuer wieder befeuern. Die reine Abschaffung des einheitlichen Abgeltungsteuersatzes von 25 Prozent und Wiedereinführung des progressiven Steuersatzes dürfte zu einige Baustellen auch im Zusammenhang mit der Unternehmensbesteuerung führen (Stichwort Neutralität der Unternehmensfinanzierung). Der Werbungskostenabzug sollte dann im Rahmen des Leistungsfähigkeitsprinzips auch oberhalb des Sparerpauschbetrages wieder möglich sein.

Es darf jedoch angezweifelt werden, dass die 2009 abgeschaffte Haltefrist von einem Jahr bei einer Neuregelung der Besteuerung der Kapitaleinkünfte in Anbetracht des aktuellen Finanzierungsbedarfs wieder eingeführt wird. Es bleibt eher sogar zu befürchten, dass in diesem Rahmen gleich auch noch die Haltefrist von zehn Jahren für private Immobilien abgeschafft oder gekürzt wird.

Wünschenswert wäre in diesem Fall jedoch, dass der Sparerpauschbetrag erheblich erhöht wird, um kleineren Anlegern die Möglichkeit zu geben, sich auch privat um ihre Altersvorsorge zu kümmern. Den großen Wurf, private Altersvorsorge wie z. B. in den USA durch individuelle Vorsorgepläne während der Ansparphase steuerfrei zu stellen, steht leider nicht im Raum.

Auch die Verlustverrechnungsbeschränkungen müssen aufgehoben werden. Es ist überhaupt nicht erklärlich, warum manche Verluste voll verrechnungsfähig sind, Aktienverluste nur mit entsprechenden Gewinnen, Verluste aus wertmäßig verfallenen Wertpapieren nur betragsmäßig begrenzt und zuletzt sogar Verluste aus Termingeschäften betragsmäßig und sachlich begrenzt. Insoweit sei auf den Vorlagebeschluss des BFH bei Bundesverfassungsgericht verwiesen zu der Frage, ob die beschränkte Verrechnung von Aktienverlusten nur mit Aktiengewinne gegen das Grundgesetz verstößt. Auch die Besteuerung von Investmentfonds müsste – zumindest in Bezug auf die Höhe der Freistellungsquoten, überarbeitet werden, um die Investition in solche Anlagevehikel nicht unattraktiv zu machen.

Bleibt noch die Frage, ob die Steuer auf die Kapitalerträge in ihrer Anonymität erhalten bleiben soll. Das Bankgeheimnis ist für Steuerzwecke bereits abgeschafft. Das ebnet den Weg für den Wegfall der Anonymität der Abgeltungsteuer. Für inländische Dividenden sind bereits entsprechende inländische Meldepflichten eingeführt worden. Anleger könnten damit bald auch mit ihren Kapitalerträgen bei Inlandsbanken für den Fiskus transparent werden. Der vorausgefüllten Steuererklärung auch in Bezug auf die Kapitaleinkünfte steht dann nicht mehr viel im Weg.

Effektive Steuerbelastung beachten

Dabei reicht ein Blick in die Steuersatzhöhe nicht, um die letztendliche Belastung des Anlegers zu erfassen. Wichtig ist, auch die Bemessungsgrundlagen, also die steuerlich relevante Höhe der Kapitaleinkünfte, in die Betrachtung mit einzubeziehen. Seit 2009 dürfen Werbungskosten, die den Sparerpauschbetrag von 801 Euro bzw. 1.602 Euro bei Zusammenveranlagten übersteigen, nicht mehr steuermindernd abgezogen werden. Das betrifft nicht nur die Depotgebühren, sondern auch Vermögensverwaltungsgebühren, Kosten für Family Offices, Steuerberater- und Rechtsanwaltshonorare etc. Im Umkehrschluss müsste nach der Abschaffung der Abgeltungsteuer in Anwendung des Nettoprinzips und des Leistungsfähigkeitsprinzips der Einkommensteuer der Abzug gerade solcher Kosten wieder zugelassen werden. Diesen Hinweis beinhaltet übrigens auch die Entschließung des Bundesrates vom 27. Februar 2017. Über angemessene Frei- und Pauschbeträge soll sogar erreicht werden, dass die Fallzahlen, in denen Ermittlungen zu den Kapitaleinkünften notwendig werden, und der administrative Aufwand begrenzt bleiben sollen – offen gelassen ist, ab welcher Höhe Frei- und Pauschbeträge angemessen sind. 

Steuerliche Vorbelastung von Kapitalerträgen

Auch die steuerliche Vorbelastung der Erträge, die der private Anleger erhält (denn nur dieser unterliegt der Abgeltungsteuer) ist letzten Endes zu berücksichtigen. Der (ehemalige) Finanzminister des Landes Brandenburg Görke lehnte diese Ansicht ab und stellt nur auf die Belastung des Anlegers ab. Dabei enthielt gerade der Antrag des Landes Brandenburg zur Abschaffung der Abgeltungsteuer den Hinweis, dass die Besteuerung von Kapitaleinkünften mit dem individuellen Steuersatz auch eine Neuregelung der Besteuerung von Kapitalgesellschaften und deren ausgeschütteten Gewinnen bedinge. Neben einem Teileinkünfteverfahren könnten hier auch andere Möglichkeiten untersucht werden. Gleichzeitig sei durch Anpassung von Einkommen- und Körperschaftsteuer das Ziel der Rechtsformneutralität der Besteuerung von Kapitalerträgen sicherzustellen und eine gleichmäßige Besteuerung von Veräußerungsgewinnen und laufenden Einkünften im Bereich von Kapitalanlagen zu gewährleisten.

Die stark vereinfachte Abbildung der Effektivbelastung zeigt, dass die bloße Umstellung der Besteuerung auf den Einkommensteuertarif oder auch eine Erhöhung des Abgeltungssteuersatzes zu einer erheblichen Mehrbelastung von Dividenden und Gewinnen aus Kapitalgesellschaftsanteilen führt, und damit die Finanzierungsneutralität bei Kapitalgesellschaften erheblich verletzt.

Interessanterweise enthielt der Antrag des Landes Brandenburg auch den Ansatz zu prüfen, ob Veräußerungsgewinne im Bereich von Finanzanlagen (Wertpapiergeschäfte, Termingeschäfte etc.) weiterhin ohne Spekulationsfrist steuerpflichtig bleiben sollen. Wir werden sehen, ob die Bundesregierung nunmehr diesen Faden wieder aufnimmt.

argy