POLITIK
Kern- und Gasenergie nachhaltig?Die Grünen verlieren schon wieder
Die EU will Atomkraft und Erdgas als klimafreundlich einstufen. Bei der kommenden Abstimmung muss die Ampel geschlossen auftreten - doch die Koalitionspartner sind sich nicht einig. Bei einem Kompromiss wird wohl eine Partei erneut den Kürzeren ziehen.
Er ist erst seit ein paar Wochen im Amt, schon wird Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeworfen zu schummeln. Denn die EU möchte Atom- und Gasenergie als nachhaltig klassifizieren. Das passe nicht zu den Klimaversprechen aus dem Wahlkampf, sagen Klimaschützer. Unter dem Hashtag #OlafSchummelt fordern sie nun von Scholz und der Bundesregierung, sich gegen den Entwurf aus Brüssel zu stellen. Die Ampel muss sich zum EU-Vorschlag verhalten, doch ist sich offenbar nicht einig. Wird das Greenwashing von Gas- und Kernkraft zum ersten handfesten Ampel-Streit?
Hintergrund ist der Entwurf für einen Rechtsakt, den die EU-Kommission noch kurz vor Ablauf des alten Jahres, um 21.53 Uhr am Silvesterabend, an die Mitgliedstaaten versendete. Mit einer Erweiterung der sogenannten Taxonomie sollen nicht nur Investitionen in erneuerbare Energien, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch solche in neue Gas- und Atomkraftwerke als klimafreundlich gelten.
Die Erweiterung der Taxonomie - also der Einstufung von Anlageformen als nachhaltig - ist ein politisches Signal an private Anleger, ihr Geld in Atom- und Gasenergie zu stecken. Konkret geht es um Energieformen, die nach EU-Definition als klimafreundlich gelten sollen, deren tatsächliche Nachhaltigkeit aber zumindest fraglich ist. So wird beim Verbrennen von Erdgas zwar weniger CO2 freigesetzt als bei Kohle, emissionsfrei ist auch Gasenergie allerdings nicht. Bei Atomenergie besteht nicht nur die Gefahr von Reaktorunfällen, sondern es stellt sich noch die Frage nach einem Endlager für Atommüll, das weder Deutschland noch Frankreich noch ein anderer Staat bislang gefunden hat.
Habeck nennt es "Greenwashing"
Bis zum 12. Januar sollen die Mitgliedsstaaten offiziell Stellung zur Einstufung von Gas- und Atomenergie als "grün" geben. Regierungssprecher Steffen Hebestreit kündigte bereits an, die Regierungsparteien seien sich einig. Das dürfte allerdings nur auf einen Teil des EU-Entwurfs zutreffen. So ist die Sache für die Ampel-Parteien zumindest beim Thema Atomkraft klar: "Die Bundesrepublik Deutschland lehnt die friedliche Nutzung der Atomenergie ab", sagte Hebestreit. Zu groß seien die Gefahren, die damit einhergehen.
Die Taxonomie ist eine Art Regelwerk, das festlegt, welche Projekte und Unternehmen in der EU als "grün" oder "nachhaltig" gelten und gefördert werden können. Nach Angaben der EU-Kommission will sie damit den Umbau zu einem klimaneutralen Finanzwesen und einer zukunftsfähigen Wirtschaft vorantreiben. Durch Offenlegungspflichten für Unternehmen und Finanzmarktteilnehmer sollen unter anderem auch Anleger feststellen können, welche Projekte und Investitionen "grün" sind.
Ganz anders sieht das bei der Frage um Energiegewinnung aus Erdgas aus. So nannte Robert Habeck die Einstufung von Atomenergie "Greenwashing". Der Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, der in der "Zeit" jüngst noch betonte, die Energiewende vor allem mit dem Bau von Windrädern schaffen zu wollen, fügte hinzu: "Fraglich ist auch, fossiles Gas in die Taxonomie aufzunehmen." Dem pflichtete auch Umweltministerin und Grünen-Politikerin Steffi Lemke in der "Rheinischen Post" bei. Die Vorschläge der EU-Kommission würden das gute Label für Nachhaltigkeit verwässern, so Habeck.
Die Fassade der geschlossenen Bundesregierung bekommt erste Risse, denn während Habeck verkündete, eine Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der EU-Kommission "nicht zu sehen", machte FDP-Vize Lukas Köhler in der "Welt" deutlich, dass eine Blockade des EU-Vorschlags "keine Option" sei. Auch der Parteivorsitzende Christian Lindner ist der Kommission "dankbar, dass sie deutsche Argumente aufgegriffen hat", wie er der "Süddeutschen Zeitung" sagte. Lindner betonte, dass Deutschland neue Gaskraftwerke brauche, "weil wir auf Kohle und Kernkraft verzichten".
Schummelt Scholz?
Tatsächlich braucht Deutschland die Gasenergie - zumindest für die nächsten Jahre. Durch den Atomausstieg hatte schon die Große Koalition auf Gasenergie als Übergangstechnologie gepocht. Um bis spätestens 2038 aus der Kohleverbrennung aussteigen zu können, setzt auch die Ampel auf Erdgas als Brückentechnologie. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP deshalb darauf geeinigt, nicht nur den Ausbau erneuerbarer Energien, sondern auch "die Errichtung moderner Gaskraftwerke zu beschleunigen". Dies sei "für eine Übergangszeit unverzichtbar", heißt es im Vertrag.
Somit heißt es als offizielle Reaktion auf den EU-Vorstoß von der Regierung, sie begrüße es, dass "Brüssel Erdgas als Übergangstechnologie im Kampf gegen den Klimawandel klassifizieren will". Dafür hagelt es vor allem von Umweltschützern starke Kritik. "Gerade für eine Regierung, die sich den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben hat, ist es absurd, Gasenergie als nachhaltig zu vermarkten und damit falsche Investitionsanreize zu setzen", sagte Carla Reemtsma von Fridays for Future im Gespräch mit ntv.de. "Gasenergie ist nicht grün - auch nicht als Brückentechnologie."
Bundeskanzler Scholz wirft sie vor zu "schummeln", da dieser sich im Wahlkampf "immer wieder als Klimakanzler inszeniert hat". Dies passe nicht mit Deutschlands Unterstützung für den EU-Entwurf zusammen, betonte sie. Fridays for Future erwarte von der Regierung, sich "ganz klar gegen die Einstufung von Atom- wie auch von Gasenergie als grüne Technologie zu stellen".
Grünen in Erklärungsnot
In Bezug auf die Rolle des Kanzlers wird die Deutsche Umwelthilfe besonders deutlich. Der Verein wirft Scholz vor, einen Deal mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eingegangen zu sein, der "die klimapolitische Reputation der Bundesregierung riskiert". So soll Scholz sich für die Aufnahme von fossilem Gas in die Taxonomie eingesetzt und im Gegenzug den französischen Wunsch nach Aufnahme von Atomkraft unterstützt haben.
Scholz selbst hat sich nach der Veröffentlich des EU-Vorstoßes noch nicht geäußert. Ob er aktiv dagegen vorgehen wird, ist allerdings unwahrscheinlich. So hatte er bei seinem Antrittsbesuch in Paris betont, dass die Nationalstaaten "am Ende selbst entscheiden müssen, wie sie in die emissionsfreie Zukunft gehen wollen". Auch im Wahlkampf hatte Scholz immer wieder geäußert, dass Lücken in der Energiewende mit Gaskraftwerken geschlossen werden können.
Bundeskanzler Scholz steht zwar im Scheinwerferlicht der Debatte in Deutschland, die Grünen dürfte sie als Klimapartei der Ampel allerdings am meisten in Bedrängnis bringen. Parteichef Habeck äußerte sich deshalb besonders deutlich gegen den Vorstoß aus Brüssel. Ebenso schreibt die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Klimaaktivistin Kathrin Henneberger auf Twitter: "Wenn 'wir' eine Regierung sein wollen, die ernst macht mit Maßnahmen gegen die Klimakrise, muss jetzt alles gegen gasfreundliche Änderung der EU-Taxonomie getan werden". Mit dem Zusatz #OlafSchummelt richtet auch sie sich direkt an den Kanzler.
Klassifizierung schon länger geplant
Für die Grünen berührt der Streit einen zentralen Punkt. Heikel ist, dass sie offenbar schon seit einiger Zeit wussten, was die EU-Kommission plant. Denn Regierungssprecher Hebestreit machte deutlich, dass die Debatte um die Klassifizierung von Kern- und Gasenergie keineswegs erst seit Silvester im Raum steht. So hätten sich Scholz, Lindner und Habeck bereits am Rande von Sitzungen darüber ausgetauscht. Man sei übereingekommen, dass man an der Erweiterung der EU-Taxonomie kaum noch etwas ändern könne, weil die nötige Zweidrittel-Mehrheit gegen den Entwurf sehr unwahrscheinlich sei.
Dass die Grünen sich nun trotzdem so lautstark gegen den EU-Vorstoß zur Klassifizierung von Gas als nachhaltige Technologie äußern, dürfte daran liegen, dass sie die anstehende Regierungsentscheidung weiter unter Druck setzt. Schon nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages war ihnen von Fridays for Future vorgeworfen worden, dass die Klimaziele im Koalitionsvertrag zu kurz kommen. So haben es Maßnahmen wie das Tempolimit, einer weitere Erhöhung des CO2-Preises oder das Verbot innerdeutscher Flüge nicht in den Vertrag geschafft - das Augenmerk der Klimawende liegt damit fast ausschließlich auf der Energiewende. Und damit im Ministerium von Robert Habeck.
Aus Regierungskreisen hieß es jüngst, Deutschland wolle sich bei der Abstimmung enthalten. Dass Habeck nicht verhindern konnte, dass Atom und Gas von der EU als nachhaltig eingestuft werden, ist im Machttableau der noch neuen Bundesregierung eine klare Niederlage für die Grünen.
Quelle: ntv.de
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